Kirche im Kreuzfeuer

Veröffentlicht in: Allgemein, Worte des Pfarrers | 0

Ein Interview mit Pfarrer Sperling zum Thema Kindesmißbrauch

 

kathleben: Herr Pfarrer Sperling, wie stehen Sie zu den Mißbrauchsvorwürfen an die katholische Kirche?

Sperling: Die Mißbrauchsvorwürfe betreffen Ereignisse aus fernerer und jüngerer Vergangenheit, die man nicht leugnen kann und darf. Wir müssen ganz klar sagen, daß es zu solch schlimmen Taten auch in der Kirche gekommen ist. Wahrscheinlich wird noch mehr ans Licht kommen, als bislang bekannt ist. Allerdings gibt es auch einen Mißbrauch des Mißbrauchs, wie der Psychotherapeut Manfred Lütz es ausgedrückt hat.

 

 

 

kathleben: Was meinen Sie damit?

Sperling: Ich glaube auch, daß es besonders schlimm ist, wenn so etwas durch Vertreter der Kirche geschieht. Der Schaden ist sehr groß und erschreckend, denn diese Untaten beleidigen nicht nur zutiefst die Opfer, sondern auch die Personwürde der Täter selbst und vor allem die Beziehungen des Menschen zu Gott. Jesus sagt: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.“ (Mk 9,42)

Wenn das ganz klar gesagt ist, müssen wir aber auch feststellen, daß es unter katholischen Geistlichen viel, viel weniger Mißbrauch gibt als sonst in der Gesellschaft. Mißbrauch geschieht in allen Schichten und Bereichen der Gesellschaft, in Schulen, Sportclubs und ähnlichen Einrichtungen und leider vor allem in Familien. Diese Tatsache geht in der gegenwärtigen Medienkampagne völlig unter. Der unbedarfte Fernsehzuschauer oder Zeitungsleser hat, nachdem er mehrere Wochen lang mit Berichten über Mißbrauch in der Kirche bombardiert wurde, unweigerlich den Eindruck, dies sei ein Phänomen, das besonders die katholische Kirche betreffe. Dabei haben die allermeisten katholischen Geistlichen mit Kindermißbrauch nicht das Geringste zu tun. Nur ein ganz geringer Prozentsatz hat solche perversen Neigungen. In der Öffentlichkeit wird aber der Eindruck erweckt, daß ganz besonders Priester gefährdet bzw. gefährlich sind.

 

 

kathleben: Sie meinen also, daß die Medien die Mißbrauchsfälle in der Kirche mißbrauchen, um die Kirche als solche in ein schlechtes Licht zu stellen?

Sperling: Genau! Man muß sogar von gezielter Verleumdung sprechen.

 

 

kathleben: Aber haben die Medien nicht die Aufgabe, vertuschte Fälle ans Licht zu holen?

Sperling: Ja, auf alle Fälle, das sollen sie tun, im Interesse der Wahrheit und der Verhinderung neuer Fälle. Und dafür sind wir der Presse dankbar. Aber die Art und Weise der Berichterstattung in den letzten Wochen war nicht objektiv.

 

kathleben: Können Sie Bespiele nennen?

Sperling: Vor etwa fünf Wochen habe ich zu einem Freund gesagt: „Sie werden sehen, man wird nicht ruhen, bis man etwas aus der Zeit findet, in der Josef Ratzinger Erzbischof von München war. Man wird versuchen, den Papst zu beschmutzen“. Vor einigen Tagen rief dieser Freund an und sagte mir: „Ich konnte es mir nicht vorstellen, aber Sie hatten recht!“ Man hatte regelrecht herumgeschnüffelt und dann herausgefunden, daß 1980 das Bistum Essen in München angefragt hatte, ob ein auffällig gewordener Priester in ein Pfarrhaus aufgenommen werden könne, um in München an einer Therapie teilzunehmen. Dem wurde damals zugestimmt. Dann hat der damalige Generalvikar abweichend von dem vom Erzbischof mitgetragenen Beschluß diesen Priester in der Seelsorge eingesetzt, wo er dann später, als Josef Ratzinger längst in Rom war, rückfällig wurde.

Man will aber unbedingt dem Papst persönlich etwas anhängen. Warum? Man will mit dem Papst die Stimme der katholischen Kirche zum Schweigen bringen.

Nach der Richtigstellung durch das Erzbistum München kam dann die nächste Stufe. Man erklärte, am Sonntag müsse der Papst etwas sagen. Natürlich läßt sich der Papst, der seine ganz klare Meinung zu Kindesmißbrauch schon oft genug dargelegt hat, nicht von einer antikirchlichen deutschen Zeitung vorschreiben, wann er was zu sagen hat. Aber es überraschte dann nicht, als am Montag die Zeitungen auf ihren ersten Seiten vom „Schweigen des Papstes“ berichteten. So kann man aus nichts eine Meldung gegen die Kirche machen. Und so wird es wahrscheinlich in neuen und perfideren Spielarten weitergehen.

 

kathleben: Warum sollte der Wunsch bestehen, die Kirche in der Öffentlichkeit zu diskreditieren?

Sperling: Weil die Kirche nicht in den Mainstream paßt. Die Kirche verkündet die Heiligkeit von Mutterschaft, Vaterschaft und Familie, die Unantastbarkeit des Lebens von der Zeugung bis zum natürlichen Tod. Die Kirche widersteht dem sogenannten Gendermainstreaming. Die Kirche ist gegen die Pornographisierung der Öffentlichkeit, gegen die Vermarktung der Frau als Sexualobjekt und des Mannes als Macho, hält praktizierte Homosexualität für Sünde und ist gegen die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe und gegen die Adoption von Kindern durch solche Paare. All das widerspricht dem, was man sich im Namen des angeblichen Fortschritts auf die Fahnen geschrieben hat. Dieselben Leute, die für die Adoption von Kindern durch Homosexuelle eintreten, die für die Freigabe der Pornographie gestimmt haben, stellen nun die Kirche an den Pranger. Die Kirche mit ihrer Botschaft ist ein Stein des Anstoßes. Sie stört. Man bekämpft sie. Und natürlich sind Mißbrauchsvorwürfe dazu ein gefundenes Fressen. Denn jeder, der sich dem Mißbrauch des Mißbrauchs entgegenstellt, so wie ich jetzt, wird mit dem Vorwurf konfrontiert werden, er wolle die Vorfälle verharmlosen oder die Schuld der Kirche geringreden. Das Einzige, was einem diese Kräfte erlauben wollen, ist sich entschuldigen. Und wenn sich dann z.B. ein Bischof für die Taten, die er gar nicht verantwortet hat, entschuldigt, wird in Talkshows diskutiert, ob die Entschuldigung denn auch ehrlich war. Nun wird seit Wochen über die Kirche in diesem Zusammenhang geredet. Und beim durchschnittlichen unkritischen Medienkonsumenten wird sich die Assoziation Kirche-Mißbrauch festgesetzt haben.

 

 

kathleben: Aber warum machen dann Priester so etwas? Hat das nicht doch etwas mit der Struktur der Kirche zu tun?

Sperling: Es ist nur ein ganz kleiner Teil der ca. 400 000 Priester, der so etwas tut. Genauso wie es einige diebische Polizisten, verbrecherische Politiker und Wissenschaftler, verlogene Journalisten und mörderische Ärzte gibt oder Feuerwehrleute, die Brände legen. Aber man käme nie auf die Idee, alle Polizisten oder Ärzte oder Feuerwehrleute unter Verdacht zu stellen. Man will aber die gesamte katholische Geistlichkeit unter Generalverdacht stellen. Doch zurück zur Frage: Man hat zu einer bestimmten Zeit in Priesterseminarien und Noviziaten zu wenig Auswahl getroffen. Ich persönlich habe viele Erfahrungen in Ausbildungsstätten der Kirche und in Klöstern gemacht. Ich habe so etwas nie erlebt, weder in Erfurt, noch in Brixen noch in Rom noch in den Klöstern, die ich kenne. Aber ich habe bei meinen Reisen in die USA gehört, daß es dort zum Teil schlimme Mißstände gab. Priesterfreunde erzählten mir von verweichlichten und verwöhnten Seilschaften von jungen Männern, die in einem Seminar nichts zu suchen haben, die aber von den Verantwortlichen aufgenommen worden sind. Es gab dort eine Zeit, die zum Glück heute vorbei ist, in der diejenigen es sehr schwer hatten, die einer echten Priesterberufung gefolgt waren. In dem Buch „Goodbye, Good Men“ wird beschrieben, wie oft die falschen Kandidaten zur Weihe gelangten und die echten Berufungen verloren gingen. Hier haben Bischöfe schwere Schuld auf sich geladen. Zum Glück hat sich die Situation schon sehr verbessert, auch weil die neuen Bischöfe viel mutiger und konsequenter sind. In Deutschland sind mir solche Zustände aber nicht bekannt. Allerdings habe ich in manchen Seminarien oder Klöstern, die ich besucht haben, den Eindruck gewonnen, daß dort zuviel Luxus herrscht und zuwenig Askese und daß man sich auch mit der kristallklaren Ethik der Kirche nicht mehr identifiziert. Und wenn das Leben zu verweichlicht wird, werden wohl auch die falschen Leute angezogen. Dann haben die Klöster keine Ausstrahlung mehr. Das spürt man dann.

 

 

kathleben: Aber hat die ganze Sache nicht doch etwas mit dem Zölibat zu tun?

Sperling: Fakt ist, daß die allermeisten Schandtaten durch Menschen verübt werden, die vom Zölibat Lichtjahre entfernt sind. Der Zölibat ist die freiwillige Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Wenn ich meinen Zölibat aufgegeben möchte, suche ich mir eine Frau und vergehe mich nicht an einem Kind. Sich zu Kindern oder Heranwachsenden oft desselben Geschlechts hingezogen zu fühlen, ist einfach krankhaft. Das hat nichts mit dem Zölibat zu tun. Die meisten Fälle geschehen in Familien. Dennoch ist bis jetzt noch niemand auf die Idee gekommen, deshalb die Familie abzuschaffen.

 

 

kathleben: Aber Alois Glück vom Zentralkomitee Deutscher Katholiken hat den Zölibat in Frage gestellt. Und auch Weihbischof Jaschke aus Hamburg…

Sperling: Sicher ist es nicht verboten, über den Zölibat nachzudenken. Aber es sind da einige Märchen im Umlauf. So z.B., daß der Zölibat im 11. Jahrhundert aus erbrechtlichen Gründen eingeführt worden ist. Dabei geht die Zölibatstradition auf die Apostelzeit zurück und fußt auf dem Bewußtsein und den Entscheidungen der alten Kirche. So gab es z.B. schon auf einem Konzil in Spanien um 306 einen solchen Beschluß, der natürlich auf noch ältere Traditionen zurückgeht, letztlich auf die Praxis und Worte Jesu selbst. Jesus hat gesagt: „Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen“ (Mt 19, 12; vgl. z.B. auch Mt 19, 27-30; Lk 18,28-30; 1 Kor 7,32ff). Zum Zölibat wird niemand gezwungen. Keiner muß Priester werden. Jesus sagt dazu. „Wer es fassen kann, der fasse es.“ (Mt 19,11)

 

 

kathleben: Aber hätte die Kirche nicht viel weniger Probleme, wenn sie den Zölibat abschaffen würde?

Sperling: Der Zölibat ist ein sehr großes Gut. Klar, wir haben jetzt einige Priester, die eine Freundin haben. Wenn aber alle Priester verheiratet wären, hätten wir einige Priester, die die Ehe brechen würden. Wir hätten viel verloren und nichts gewonnen.

Der Zölibat ist vielen ein Dorn im Auge. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken kann keinen Anspruch erheben, wirklich die Katholiken Deutschlands zu vertreten. Es kommt auch nicht demokratisch zustande. Und ich finde es bedauerlich, daß unsere Kirchensteuermittel für dieses Komitee verschwendet werden. In der Presse wird Herr Glück dann als „Katholikenpräsident“ bezeichnet. Noch weniger in der Wirklichkeit verankert ist die angebliche Basisgruppe „Wir sind Kirche“, die auch ständig zu Wort kommt. Alexander Kissler meint dazu treffend im ef-magazin: Der neckischste Witz aber gelang jener Agentur, die eine Meldung mit der Zeile überschrieb: „‘Wir sind Kirche‘ setzt Papst Benedikt unter Druck“. Bekanntlich handelt es sich bei dem als „Basisbewegung“ titulierten Verein um einen Seniorenlesezirkel, der sich an den Stellungnahmen seines Sprechers Christian Weisner und dessen politischer Theologie erfreut. Ähnlich ernsthaft wäre eine Schlagzeile der Art, „Gemeinderat von Neutraubling fordert Barack Obama zum Rücktritt auf.“

 

 

kathleben: Warum kämpft z.B. das Magazin „Der Spiegel“ so vehement gegen den Zölibat?

Sperling: Das Leben eines Priesters ist eine Provokation des Zeitgeistes, für den Macht, Geld und Sex das Höchste sind. Und er stellt einen guten Angriffspunkt dar. Das wußte schon Göbbels. Auch die Nazis, denen die Katholische Kirche als größte nichtgleichgeschaltete Organisation ein Dorn im Auge war, bezichtigten den katholischen Klerus der „herdenmäßigen Unzucht“ und bezeichneten die Kirche als „Sexualsumpf“. Man kann das alles sogar im Spiegel-Archiv nachlesen. (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43278950.html)

Mir fällt ein, was Hans Conrad Zander einmal geschrieben hat: „Es ist jetzt an der Zeit, an Friedrich Spee zu erinnern. In der ‚Cautio Criminalis’, jenem Buch, mit dem er 1631 dem Hexenwahn ein Ende machte, beschreibt der Düsseldorfer Jesuit, wie ein solcher Wahn auf dem deutschen Dorf entsteht. Da ist eine Frau, die fertiggemacht werden soll. Die Frage lautet: ’Ist das nicht vielleicht eine Hexe?’ Sobald diese Frage aufkommt, ist die Frau verloren. Sie kann sich verteidigen, dann sagen alle: ‚Wenn das keine Hexe wäre, hätte sie das nicht nötig.’ Sie kann schweigen, dann sagen alle: ‚Sie gibt es ja schon zu.’ Ob sie sich laut wehrt, oder ob sie still duldet, die Frau ist verloren – das Pogrom kann beginnen.“ (Hans Conrad Zander, Zehn Argumente für den Zölibat, Düsseldorf 1997, S. 10)

Auch für Priester muß nämlich die Unschuldsvermutung gelten. In Italien ist ein fälschlich des Kindesmißbrauchs angeklagter Geistlicher im Gefängnis gestorben. Später wurde seine Unschuld bewiesen.

Am Ende geht es wahrscheinlich leider den meisten Kritikern nicht darum, Kinder zu schützen, sondern die Kirche zu bekämpfen bzw. aus ihr eine neue, zeitgeistgemäße, angepaßte Kirche zu machen, sozusagen einen religiösen Partyservice. Dazu scheint jedes Mittel recht. Den wirklichen Opfern hilft man dadurch nicht.

Letztlich ist es Christus selbst, der in Seiner Kirche leidet, in den Kindern, die geschändet werden, und durch den Schaden, der der Verkündigung Seiner Liebe zugefügt wird. Und ER leidet in den Verbrechern. Was können wir tun? Wir können nur versuchen, in all dem Christus und der Kirche treu zu bleiben durch ein Leben in Wahrheit und Liebe. Und nur so können wir auch wirklich Kinder schützen.