Kirche im Kreuzfeuer – die Fortsetzung

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Kirche im Kreuzfeuer – die Fortsetzung

 

kathleben: Herr Pfarrer Sperling, in letzter Zeit heißt es öfter, die Kirche befände sich in ihrer größten Krise seit 1945. Ist das auch Ihre Einschätzung?

Sperling:  So etwas kann man m. E. erst aus einem gewissen geschichtlichen Abstand heraus beurteilen. Sicher ist, daß wir in den letzten Wochen eine neue Intensitätsstufe der öffentlichen Auseinandersetzung um die Kirche erleben. Im Zuge der Mißbrauchsdebatte sind bestimmte Hemmschwellen überschritten worden. So haben z.B. zwei britische Atheisten gefordert, Papst Benedikt bei seinem Besuch im September wegen „Verbrechen gegen die Menschheit“ verhaften zu lassen. (http://www.welt.de/politik/ausland/article7140516/Zwei-Briten-wollen-den-Papst-verhaften-lassen.html)

Übrigens ist ein beeindruckendes Dokument aufgetaucht, in dem wir sehen, wie vor Jahrzehnten ein inzwischen seliggesprochener Bischof, der Löwe von Münster, mit einer ähnlichen Situation umging.

 

kathleben: Müssen da, auch wenn die Ausführung dieses Vorhabens nicht realistisch erscheint, bei einem Katholiken nicht die Alarmglocken schrillen?

Sperling:  Ja und nein. Ja, weil uns das natürlich nicht egal sein kann. Nein, weil wir uns deswegen nicht im Innersten beunruhigen lassen dürfen.

 

kathleben: Wieso ist dies kein Grund zur Beunruhigung?

Sperling: Mir geht es darum, daß wir den Frieden im Herzen nicht verlieren. Ich bin mit einer Historikerin befreundet, deren Vater und Großmutter als Juden umgebracht wurden und die als junge Ordensfrau sechs Jahre im kommunistischen Gefängnis in Ungarn saß. Ich erzählte ihr neulich von der Situation in Deutschland und sprach von einer Art „Verfolgung“. Sie antwortete nur: „Verfolgung hat es immer gegeben.“

Wissen Sie, unsere Kirche in Oschersleben  wurde 1872 vom Paderborner Bischof Konrad Martin geweiht. Damals brach der Kulturkampf der Katholischen Kirche mit dem Preußischen Staat aus. 1874 wurde Bischof Martin zu Festungshaft verurteilt und 1875 abgesetzt. Er starb 1879 in Belgien. Das war auch keine lustige Zeit.

Vor 200 Jahren, im Sommer 1809, wurde Papst Pius VII. von Napoleon überfallen und jahrelang inhaftiert. Der Papst wollte sich bei der Ernennung der Kardinäle nicht nach Napoleon richten. Und am Anfang der Kirchengeschichte ist praktisch 300 Jahre lang kein Papst im Bett gestorben. Das waren alles Märtyrer. Das ist für die Kirche eigentlich Normalität. Und wenn wir uns mit den Christen in vielen Ländern vergleichen, geht es uns hier richtig gut. Die Christen sind heute weltweit die am meisten verfolgte Minderheit. Nur wird darüber kaum berichtet.

 

kathleben: Aber ist die Kirche heute nicht selber schuld daran, daß es eine solche Krise gibt?

Sperling: Wer ist die Kirche? Der Papst? Die Bischöfe? Die Priester? Alle Getauften vom Säugling bis zum Greis von Australien bis Grönland? Christus, Maria und die Heiligen? Wir sehen, daß die Frage komplex ist und nicht in einem Satz beantwortet werden kann. Die Kirche ist heilig, weil sie von Christus stammt und von ihm gehalten wird, und besteht zugleich aus Sündern, die miteinander auf dem mühsamen Weg sind, neue Menschen zu werden. Den Schatz der Erkenntnis Christi tragen wir, wie Paulus sagt, „in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor 4,7). Und nie hat die Kirche selbst etwas anderes von sich behauptet. Viele sind wohl auch heute der Meinung, die Welt wäre besser ohne die Kirche. Darum tun sie alles, um die Kirche auszuschalten bzw. gleichzuschalten. Die Kirche ist und bleibt ein Stein des Anstoßes. Sie stellt eine in sich abgeschlossene Welt in Frage, und sie spricht Themen an, von denen niemand etwas hören will, z.B. den staatlich sanktionierten millionenfachen Mord an ungeborenen Menschen. Übrigens hat schon im 2. Jahrhundert Tacitus davon geschrieben, daß die Christen schuldig seien des „odium humani generis“, also des „Hasses auf das Menschengeschlecht“ (Annalen XV, 44) Also all das, was wir heute erleben, ist im Wesentlichen nicht neu.

Die Sünde gibt es außerhalb der Kirche und innerhalb der Kirche. Nehmen wir z.B. das 8. Gebot: „Du sollst nicht lügen.“ Kennen Sie einen Menschen, der von Kindheit an nicht ein einziges Mal geschwindelt hat? Ich kenne vielleicht einen, aber auch bei dem bin ich mir nicht sicher. Soll die Kirche deshalb aufhören, das 8. Gebot zu verkünden? Wird die Welt dadurch besser? Als Frau Käßmann zurücktrat, hat die Süddeutsche Zeitung versucht, auch Bischof Mixa eine Trunkenheitsfahrt anzuhängen. Daraus wurde nichts. Das war offensichtlich eine Lüge. Das hat nicht funktioniert. Später wurden ihm dann brutale Prügelpraktiken vorgeworfen. Dies hat der Bischof kategorisch zurückgewiesen, dann aber die Möglichkeit zugegeben, ein paar Ohrfeigen ausgeteilt zu haben. Daraufhin wurde ihm in jeder Nachrichtensendung vorgeworfen, gelogen zu haben. Verstehen Sie? Mir hat einmal jemand einen alten DDR-Witz erzählt. Der ging so: „Was liegt morgens vor der Tür und lügt? Antwort: das ‚Freie Wort’“. Diese thüringische Zeitung gab es damals schon. Das Problem ist, daß wir damals alle wußten, daß in den Medien gelogen wird, obwohl natürlich auch damals nicht nur Lügen darin standen. Aber wir hatten schon die richtige Brille auf, wenn wir die Zeitung lasen oder die Nachrichten sahen. Und heute müssen wir das wieder lernen. Wir dürfen nicht der Illusion erliegen, daß heute die Medienmacher nur an der Wahrheit interessiert sind.

 

kathleben: Aber jetzt waren es doch die Medien, durch die die Kirche endlich begonnen hat, den Mißbrauchsumpf  trockenzulegen.

Sperling: Es ist oft genug gesagt worden, daß in bezug auf den Umgang mit sexuellem Mißbrauch auch in der Kirche sehr große Fehler gemacht worden sind. Das ist sehr schlimm und beschämend. Das bestreitet niemand. Und ich selbst habe auch schon gesagt, daß wir den Medien dankbar sein müssen, wenn sie uns helfen, solche Taten und Mißstände aufzudecken. Andererseits wir müssen ganz nüchtern feststellen, daß es pro Jahr in Deutschland etwa 15.000 gemeldete Verdachtsfälle von sexuellem Mißbrauch an Kindern gibt. Davon betrifft in den letzten Jahren so gut wie kein einziger die katholische Kirche. Sagen wir 1 %, obwohl das noch zuviel ist. Warum beziehen sich 99 % der Nachrichten über Mißbrauch auf eine Institution, in der unter 1 % der Fälle vorkommt (vgl.: http://www.kath.net/detail.php?id=26533)? Daß das ganz eindeutig eine Medienkampagne ist, müssen heute sogar die Leute einsehen, die die Welt mit einer rosaroten Brille anschauen.

 

kathleben: Wie beurteilen Sie das Verhalten unserer Bischöfe?

Sperling: Mir steht es nicht zu, unsere Bischöfe zu beurteilen. Und ich habe nicht alle Informationen, die sie haben. Sie sind in einer sehr schwierigen Lage. Denn wenn sie die offensichtliche Kampagne der totalitären und gleichgeschalteten Presse zur Sprache bringen, wird ihnen genau dies den Vorwurf einbringen, von der „Schuld der Kirche“ abzulenken, zu vertuschen, kleinzureden usw. Denn es ist ja nicht zu leugnen, daß es wirklich Verbrechen in der Kirche gegeben hat und wohl immer in einem gewissen Maß geben wird, denn, wie Jesus sagt, wachsen Unkraut und Weizen zusammen – bis zur Ernte. Die Bischöfe stehen auch in der Gefahr, gegeneinander ausgespielt zu werden. Viele warten ja darauf, weitere Keile in die kirchliche Hierarchie zu treiben. In verschiedenen kommunistischen Staaten war das früher auch eine wichtige Strategie. In geheimen Dokumenten etwa des damaligen ungarischen Amtes für Kirchenwesen (StKA)  kann man als eine ausdrückliche Zielsetzung lesen: „Die Zersplitterung der Bischofskonferenz ist weiterhin aufrechtzuerhalten.“ Heute leben wir in einer anderen Zeit. Aber die Methoden und Zielsetzungen derer, die die Kirche vernichten oder kaltstellen wollen, sind z. T. sehr ähnlich. Jedes Wort, das ein Bischof unter diesen Umständen öffentlich äußert, muß genau abgewogen werden und kann ihm dennoch leicht im Munde herumgedreht werden. Ich hoffe, daß unsere Bischöfe alles tun, um die Einheit der Kirche zu bewahren. Im Grunde genommen ist das Bischofsamt eine Art Martyrium. Wenn einer öffentlich unbequeme Wahrheiten ausspricht, wenn sich z.B. einer der Bischöfe einer Demonstration für das Lebensrecht ungeborener Menschen anschließen würde, müßte er damit rechnen, daß man solange forscht, bis man irgend etwas Wahres oder Unwahres findet, um ihn mundtot zu machen. Daß es jetzt gelungen ist, Bischof Mixa zum Rücktritt zu drängen, halte ich für einen großen Erfolg der Gegner der Kirche. Denn jetzt muß jeder Bischof mit ähnlichen Kampagnen rechnen, der wagt, öffentlich dem Mainstream zu widerstehen. Insgesamt, und hier möchte ich mich auf die erwähnte ungarische Ordensfrau berufen, gibt es drei Grundhaltungen, wie wir, nicht nur die Bischöfe, auf den antikirchlichen Angriffe reagieren können: 1.) die unbedingte Treue Christus, der Kirche und dem Evangelium gegenüber, 2.) die taktierende Haltung oder 3.) die vollständige Unterwerfung.

 

kathleben:  Aber die hohen Austrittszahlen zeugen doch davon, daß das Kirchenvolk selbst nicht hinter den Bischöfen steht…

Sperling: Ich habe das genau beobachtet. Zunächst wurde massiv, einseitig und unverhältnismäßig negativ über die Kirche berichtet. Z.T. ist es wirklich perfide Demagogie in der Verknüpfung von Bildern, Texten, Andeutungen… Bei vielen hat sich wohl eher unbewußt die Assoziation Kirche-Mißbrauch, Priester-Kinderschänder im Gehirn festgesetzt. Daraufhin treten nun viele aus. Und dies wiederum ist eine neue, weitere Negativmeldung, die zur Nachahmung anregen soll. So kann man die Situation immer mehr anheizen.

Auf der anderen Seite muß man sagen, daß doch die Kirchenaustritte nur Symptome eines Glaubensschwundes sind, der aufmerksame Beobachter schon seit langem mit großer Sorge erfüllt. Und dieser Glaubensschwund ist das eigentliche Problem, um das es geht. Die Austritte sorgen mich weniger als das Verdunsten des Glaubens, das vielen Austritten vorangeht. Ich kenne einen Pfarrer aus dem Bistum Augsburg. Er ist für etwa 10.000 Katholiken zuständig. Da gehen sehr viele Kinder zur Erstkommunion und zur Firmung. Zur Weihnachtsbeichte gingen nur drei Personen. Das ist die eigentliche Krise. Das wirkliche Problem ist nicht, daß jetzt von den 10.000 vielleicht 500 austreten. Das Problem war schon vorher da, nur es wurde kaschiert. Das ist auch eine Art Vertuschung. Wir haben viel ausgehöhlte und verratene Tradition, viel Unehrlichkeit, viel Show, Event und Action. Es herrscht ein massiver Mißbrauch der Sakramente. In manchen Gegenden werden scharenweise Jugendliche zur Firmung geführt. Und viele von ihnen wissen überhaupt nicht, worum es geht. Mir erzählte neulich eine junge Frau, wie sie als Kind im Kommunionunterricht zwar lernte, was es für verschiedene Brotsorten gibt, aber nicht, was die hl. Eucharistie eigentlich ist.

 

kathleben: Lenken Sie jetzt nicht von der Schuld des Klerus ab und schieben alles auf das unwillige Kirchenvolk?

Sperling: Das liegt mir natürlich fern. Der Klerus trägt die Last der größeren Verantwortung. Aber es muß festgestellt werden dürfen, daß der katholische Glaube in all seinem Reichtum heute auch unter den meisten Katholiken fast unbekannt ist. Der Schriftsteller Martin Mosebach bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „In Deutschland ist das katholische Christentum gerade auch unter Katholiken zur unbekannten Religion geworden.“ Es gibt seit Jahrzehnten enorme Defizite in der Glaubensverkündigung. Und manchmal denke ich, es ist nur verständlich, wenn viele Leute plötzlich auf die Kirche einschlagen. Wahrscheinlich sind viele von ihnen einfach in ihren Herzen enttäuscht, daß wir Christen ihnen so wenig wirkliches Zeugnis geben von dem wunderbaren Glauben, der uns anvertraut ist. Wir sollten nicht immer zuerst fragen, wer schuld ist. Letztlich sieht das nur Gott ganz objektiv. Es gibt ein weit in die Menschheitsgeschichte zurückreichendes unsichtbares Netz von Schuld, in das wir alle verstrickt sind. Und wenn wir immer nur die Schuld vom einen auf den anderen schieben, kommen wir nicht weiter. Aber wir müssen ohne Schuldzuweisungen feststellen, wo wir Gott untreu geworden, wo eine wahre Reform der Kirche ansetzen muß. Und hier es geht es schlicht und einfach um unsere Bekehrung zum lebendigen Gott, dem Vaters unseres Herrn Jesus Christus, darum daß wir alle auf das Evangelium hören, daß wir die Schönheit unseres Glaubens entdecken und in unserer Wüste aus den nie versiegenden Quellen des Lebens trinken.

 

kathleben: Und was sagen Sie zum Papst?

Sperling: Ich glaube, wir haben momentan einen wirklich großartigen Papst, den richtigen. Das ist nicht selbstverständlich, wenn man die Geschichte anschaut. Doch trotz manch schlechter Päpste gilt: Das Papstamt ist von Jesus der Kirche eingestiftet und unbedingt notwendig. „Gäbe es diesen Hort nicht, so gäbe es so viele Kirchen wie Individuen.“ Dies hat kein Geringerer als Luther gesagt, allerdings war das schon 1516. Aber auch ein Jahr später, als die Kirchenspaltung begann, war das die Wahrheit, und sie ist es bis heute. Als am 19.4.2005 Josef Ratzinger als neuer Nachfolger Petri auf die Loggia von Sankt Peter trat, (http://www.youtube.com/watch?v=DEO-Uf6bXAI&feature=related) war das wirklich ein wunderbarer Augenblick. Die einfachen Leute haben es gespürt: dieser so gebildete und dabei so schlichte Mann ist wirklich einer von uns Gläubigen. Er hat selber einen im guten Sinn kindlichen Glauben, und er verteidigt mutig diesen Glauben. Wir sollten daran denken, um was er uns damals bat: „Betet für mich, daß ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe!“