Von dreibeinigen Hockern und päpstlicher Unfehlbarkeit

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Auf katholisch.de, dem offiziellen Internetportal der Katholischen Kirche, wurde gestern (25.11.15) ein Beitrag von einem gewissen Björn Odendahl veröffentlicht. Dieser ist als „Redakteur“ bei katholisch.de ausgewiesen. Herr Odendahl schreibt: „Der Papst hat in vielem Recht. Doch nicht in allem.“ Dies gibt uns Anlaß, einmal darüber nachzudenken, was es eigentlich heißt, papsttreu zu sein. Unter Papst Franziskus scheint sich vieles geändert zu haben. Leute, die früheren Päpsten sehr kritisch gegenüberstanden, überschlagen sich nun im Jubel über den aktuellen Papst. Andere, die früher sich selbst als „papsttreu“ titulierten, sind ruhiger geworden. Doch worum geht es eigentlich bei der Papsttreue? Und was hat es mit der Unfehlbarkeit des Papstes auf sich?

Dazu müssen wir uns in Erinnerung rufen, was das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes wirklich sagt. 1870 wurde dieses Dogma auf dem Ersten Vatikanischen Konzil formuliert: „Wenn der römische Bischof ex cathedra spricht, d.h. wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen kraft seiner höchsten apostolischen Amtsgewalt endgültig entscheidet, daß eine Glaubens- oder Sittenlehre von der gesamten Kirche festzuhalten ist, so besitzt er auf Grund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit welcher der göttliche Erlöser seine Kirche in der endgültigen Entscheidung über eine Glaubens- oder Sittenlehre ausgestattet wissen wollte. Daher sind solche endgültige Entscheidungen des römischen Bischofs aus sich selbst, nicht auf Grund der Zustimmung der Kirche, unabänderlich.“ *

Die Unfehlbarkeit bezieht sich also nicht auf alle möglichen Aussagen eines Papstes, sondern nur auf ganz besondere, seltene feierliche Lehraussagen, die als solche gekennzeichnet sind. Dabei geht es auch nicht um die Einführung neuer Lehren, sondern darum, daß an etwas, das schon zum Glauben gehört, festzuhalten ist. Der Papst ist Diener und nicht Herr des Glaubens. Und als solcher schützt er den Glauben, wenn er eine offenbarte Wahrheit (ggfs. auch in Bezug auf die Moral) durch eine feierliche Erklärung als fest zu glauben schützt und verteidigt.

Dies heißt nun im Umkehrschluß nicht, daß alle nicht so feierlichen Aussagen eines Papstes keine Bedeutung und keine Verbindlichkeit hätten. Im Gegenteil. Päpste und Bischöfe haben ja gerade die Aufgabe, den Glauben zu lehren und zu stärken.

Denn Jesus hat zu Petrus gesagt: „Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht wanke; und du, wenn du dich bekehrt hast, stärke deine Brüder.“ (Lk 22,32) Und so sind ihre Lehraussagen für uns Gläubige eine wichtige und verbindliche Richtschnur. Als Faustregel können wir uns hierzu merken: (1) Je offizieller eine Aussage ist und je mehr sie den Kern der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche betrifft, desto verbindlicher ist diese Aussage für uns und desto mehr können wir vertrauen, daß die Hirten der Kirche bei ihren Aussagen vom Heiligen Geist unterstützt und geschützt wurden. Ein offizielles Dogma eines Papstes oder eines Konzils (mit dem Papst) ist  sicher unfehlbar. Eine Enzyklika kann unfehlbar richtige Glaubenswahrheiten beinhalten, ist aber als solche nicht unfehlbar. Sie ist jedoch ernster zu nehmen als irgendein päpstliches Schreiben (z.B. zum Welttag der Kommunikationsmittel). Dieses wiederum ist bedeutsamer als eine päpstliche Ansprache an eine Pilgergruppe oder gar Interviews auf dem Rückflug von einer apostolischen Reise. Ich sage immer scherzhaft: Wenn der Papst beim Mittagessen hustet, ist das noch lange kein Dogma. Papst Benedikt XVI., sicher einer der größten Theologen der Kirchengeschichte, weist z.B. im Vorwort seines Jesusbuches extra darauf hin, daß er für dieses keine Lehrautorität beansprucht, sondern einfach einen Beitrag zur Theologie leisten will.

(2) Zum zweiten ist zu beachten, daß die Aussagen eines Papstes für uns je bedeutsamer und verbindlicher sind, je mehr sie mit der eigentlichen Offenbarung in Verbindung stehen. Als Chemiker, Astronom oder Ökologe z.B. hat ein Papst nicht mehr Autorität als jeder andere und mitunter sogar weniger.

Wir Katholiken sind also sehr wohl gehalten, der kirchlichen Lehre, wie sie von den Päpsten und in Gemeinschaft mit diesen von den Bischöfen vorgelegt wird, gehorsam zu folgen. Wir können und müssen dabei aber auch unseren Verstand anwenden und uns anhand der genannten Kriterien fragen, wie verbindlich eine päpstliche oder bischöfliche Lehre ist.

 

(3) Wir verschließen nicht unsere Augen vor der Tatsache, daß verschiedene Bischöfe zu manchen Themen verschiedene Meinungen äußern. Nun kann aber der Glaubensgehorsam der Gläubigen nicht bedeuten, daß man z.B. bei einem Bischofswechsel oder bei einem Umzug ins Nachbarbistum seinen Glauben zu ändern hat. Wir dürfen uns immer daran erinnern, daß Christus, der uns den Vater offenbart hat, im Johannesevangelium der Logos (λόγος) genannt wird. Die Wahrheit des Glaubens steht zwar über unserer menschlichen Vernunft, aber sie ist niemals unvernünftig bzw. unlogisch. Papst Johannes Paul II. hat diesem Sachverhalt schon mit den ersten Worten einer seiner großen Enzykliken ein Denkmal gesetzt: „Glaube und Vernunft (Fides et ratio) sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt.“ Der liebe Gott hat uns also, salopp gesagt, den Kopf nicht nur für die Haare und den Hut gegeben, sondern wir haben den Verstand erhalten, damit wir ihn auch anwenden.

Wenn z.B. die Kirche über Jahrhunderte die Hexenverfolgung bekämpft hat und es sogar nachgewiesen ist, daß durch das Eintreten der Inquisition viele vor der Hexenverfolgung bewahrt wurden, so ist es sehr bedauerlich, festzustellen, daß ein einziger Papst, nämlich Innozenz VIII., im Jahr 1482 zugelassen hat, daß in seinem Namen ein Vorwort zu einem Buch veröffentlich wurde, welches eine fatale Wirkungsgeschichte bei der neuzeitlichen Hexenverfolgung hatte. Hier hat sich der Papst offensichtlich geirrt. Und es ist in keiner Weise unkatholisch, dies vernünftigerweise auch festzustellen. In der Geschichte ließen sich noch viele andere, nicht so schwerwiegende Irrtümer finden, welchen Päpste als Menschen unterlegen waren. Es gibt auch viele Entscheidungen, die von späteren Päpsten wieder rückgängig gemacht wurden, z.B. die Auflösung des Jesuitenordens unter staatlichem Druck im Jahr 1773 und seine Wiederzulassung 1814. Oder die Erklärung Papst Benedikts XVI., daß die alte Form der römischen Messe nicht als verboten und abgeschafft gelten kann, obwohl es unter den drei vorausgehenden Päpsten für diese Form der Liturgie in der Praxis päpstlicher Sondergenehmigungen bedurfte. Ebenso kann es vorkommen, daß Bischöfe z.B. zu gesellschaftlichen Themen Äußerungen machen, die sich zeitgleich oder wenig später als Irrtümer und nicht mit dem großen Strom der Weltkirche kompatibel erweisen. Dies war z.B. bei Hirtenworten deutscher Bischöfe zum Ersten Weltkrieg der Fall. Wenn irgendein Bischof, wie es gerade auch heute nicht selten vorkommt, mit verwirrenden Aussagen die Gläubigen verunsichert, wenn er etwa sagt, in Zukunft werde es ein Frauenpriestertum geben, obwohl Papst Johannes Paul II. diese Frage definitiv geklärt und die Diskussion darüber beendet hat, sollten wir uns daran erinnern, daß ein Bischof bei seiner Weihe feierlich versprochen hat, den katholischen Glauben unversehrt zu verkünden. Wenn ein Bischof dieses Versprechen offensichtlich bricht, dann hat er zumindest in der betreffenden Frage seine Autorität verloren und keinen Anspruch auf unseren Gehorsam. So etwas gab es immer, mal mehr, mal weniger. Durch die modernen Kommunikationsmittel werden heute allerdings die negativen Effekte solcher verwirrenden Aussagen durch die sekundenschnelle Verbreitung in alle Welt verstärkt. Dieselben Kommunikationsmittel geben uns aber glücklicherweise auch die Möglichkeit, schnell festzustellen, ob eine bestimmte Aussage der kirchlichen Lehre entspricht oder nicht, z.B. durch das Aufrufen des Katechismus der Katholischen Kirche im Internet.

All diese Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart hindern uns Gläubige jedoch nicht an einem großen und kindlichen Vertrauen, daß der Hl. Geist auch heute nicht aufhört, die Kirche zu führen und zu leiten, die Kirche, die ja die „Säule und Feste der Wahrheit“ (1 Tim 3,15) ist. Fragen wir uns also bei Aussagen unserer Hirten, die uns zweifelhaft erscheinen: 1.) Wie offiziell ist diese Aussage? 2.) Wie sehr hat sie mit dem Kern der Glaubens- und der Sittenlehre der Kirche zu tun, oder ist sie anderer Art (bspw. eine Aussage zu den physikalischen Ursachen für Klimaschwankungen)? und 3.) Wie sehr steht sie in Harmonie mit dem großen Strom der Überlieferung der Hl. Kirche und damit dem Glauben der Heiligen aller Jahrhunderte?

 

Ein Bild: Ein Hocker braucht, um zu stehen, drei Beine. Mit nur einem oder nur zwei Beinen fällt er um. Der katholische Glaube beruht auf drei notwendigen Standbeinen: Hl. Schrift, Tradition, Lehramt. Die Hl. Schrift ist das wichtigste Zeugnis der Offenbarung Gottes. Aber wie die unzähligen protestantischen „Kirchen“ zeigen, braucht es Hilfe, um bei der Auslegung die Einheit in der Wahrheit nicht zu verlieren. „Keine Weissagung der Schrift darf [daher] eigenmächtig ausgelegt werden“ (2 Petr 1,20), so lesen wir also schon in dieser Schrift selber.  Und der hl. Johannes schreibt in seinem Zweiten Brief: „Achtet auf euch, damit ihr nicht preisgebt, was wir erarbeitet haben, sondern damit ihr den vollen Lohn empfangt. Jeder, der darüber hinaus fortschreitet und nicht in der Lehre Christi bleibt, hat Gott nicht. Wer aber in der Lehre bleibt, hat den Vater und den Sohn.“ (2 Joh 8f) Bei diesem In-der-Lehre-Christi-Bleiben hilft uns das zweite Bein, die Tradition. Wir schauen darauf, wie die Kirche im Laufe der Jahrhunderte in ihrem Leben und ganz besonders im Leben der großen Heiligen die Hl. Schrift ausgelegt hat. Wir brauchen aber auch unbedingt das dritte Bein: das Lehramt. Die Kirche hilft uns durch ihre offizielle Lehre, die Schrift und die Tradition richtig zu verstehen und für die heutige Zeit auszulegen und dabei Zeitbedingtes vom dauerhaft Bindenden zu unterscheiden. Hierbei ist es aber wichtig, um im Bild zu bleiben, daß alle drei Beine in eine Richtung zeigen. Sollte eine Aussage, die im Namen des Lehramtes gemacht wird, in eine andere Richtung als Schrift und Tradition zeigen, dann wäre sie kein Ausdruck des authentischen Lehramtes. Ein dreibeiniger Hocker, dessen eines Bein in eine andere Richtung zeigte, wäre ganz offensichtlich ebensowenig standfest wie ein nur ein- oder zweibeiniger Stuhl.

Kehren wir zurück zu unserem Artikel auf katholisch.de. Der Beitrag endet und kulminiert mit dem Satz: „Die Kirche braucht auch einen Apparat und Geld, um Gutes zu tun.“ Offensichtlich gehört der Autor zu der Gruppe der von der reichen deutschen Kirche alimentierten Mitarbeiter, die zwar „von der Kirche leben aber nicht für die Kirche“ (so hat es ein Katholik unserer Pfarrei auf den Punkt gebracht). Der Autor sagt, daß Papst Franziskus nicht immer recht hat. Das ist zweifelsohne so. Und bei jedem anderen Papst war und ist es so. Das haben wir auch früher schon gewußt. Bedauerlich sind jedoch die unverschämten Aussagen, die unser Redakteur (auf Kosten der Kirchensteuerzahler) im selben Zusammenhang über die glaubensfesten afrikanischen Katholiken und insbesondere über den  afrikanischen Kardinal Robert Sarah macht. Die afrikanische Kirche wachse, „weil der Bildungsstand durchschnittlich auf einem niedrigeren Niveau ist und die Menschen einfache Antworten auf schwierige (Glaubens)fragen akzeptieren. Antworten, wie sie zum Beispiel Kardinal Sarah aus Guinea gibt.“ Dieser Kardinal, vor einem guten Jahr von Papst Franziskus zum Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung ernannt, ist eine der größten Bischofsgestalten der heutigen Kirche und hat nicht zuletzt durch sein Interviewbuch „Gott oder nichts“ seine intellektuelle Schärfe, seine umfassende Bildung und seine tiefe Gläubigkeit unter Beweis gestellt. Als junger Bischof bewies er außerordentlichen Mut im Widerstand gegen einen gottlosen Diktator und wurde nur durch besondere Fügungen Gottes (u.a. durch ein Erdbeben) vor der Ermordung bewahrt. Nicht jede Antwort des kirchlichen Glaubens, wie ihn mit besonderer Klarheit auch Kardinal Sarah verkündet,  behagt denen, die dem weltlichen „Fortschritt“ mehr verhaftet sind als dem heiligen und unveränderlichen Offenbarungsgut (unveränderlich heißt hier nicht unlebendig, tot, sondern das Gegenteil davon). Das ist nun einmal so. Und das war schon immer so.

Bedauerlich ist, wenn solche Leute auf einer offiziellen Website der Katholischen Kirche ein Forum erhalten. Die Kirche, der der Herr verheißen hat, daß „die Pforten der Unterwelt sie nicht überwältigen werden“ (vgl. Mt 16, 18f), wird auch dies überleben. Schade ist nur, daß wiederum Gläubige verwirrt und verunsichert und so auf ihrem Weg zum ewigen Heil behindert werden. „Über jedes unnütze Wort werden wir am Tag des Gerichts Rechenschaft geben“ müssen, (Mt 12, 36) vom einfachen Gläubigen bis hin zu Bischöfen und Päpsten. Und je höher wir stehen, desto strenger wird das Gericht, das ja, wie Petrus schreibt, „beim Haus Gottes beginnt“ (1 Petr 4, 17).

 

 

Pfr. Christoph Sperling


* „ein Konzil stünde ‚über dem Papst‘ nur im Ausnahmefall, wo Unsicherheit herrschte, wer der legitime Papst wäre – ein Fall, der tatsächlich vorgekommen ist -, sonst haben seine Beschlüsse vom Papst in seiner Einheitsfunktion genehmigt zu werden“ (so der große Theologe Hans Urs von Balthasar in einem 1980 von Karl Lehmann veröffentlichten Büchlein zum damaligen Papstbesuch).