Glaubensverwirrung durch die Kirchenzeitung

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Eine Gegenrede zu einem Beitrag im „Tag des Herrn“

 

Angefragt von einem Gläubigen aus der Pfarrei, der mit einer Ausgabe unserer Kirchenzeitung besorgt und beunruhigt zu mir kam, sehe ich mich noch vor Weihnachten zu folgendem Beitrag veranlaßt:

 

Warum feiern wir Weihnachten, wenn Jesus gar nicht wirklich sicher der Sohn Gottes ist, „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“, wie es die Kirche im Credo bekennt? Sind Gottessohnschaft Jesu und Jungfrauengeburt nichts weiter als fromme Mythen? Was bleibt dann über von unserem katholischen Glauben? Was sind dann die Sakramente? Warum dann noch zu Christus beten oder zur Messe gehen?

 

Der hl. Irenäus von Lyon war ein Schüler des hl. Polykarp von Smyrna, dieser wiederum Schüler des Apostels Johannes. Der Überlieferung nach starb er um 202 als Bischof von Lyon den Märtyrertod. In seinem Werk „Gegen die Häresien“ lesen wir im dritten Buch: „So hat Matthäus bei den Hebräern in deren Sprache (gepredigt) und außerdem  ein Evangelium in schriftlicher Form herausgegeben. Zur selben Zeit predigten Petrus und Paulus in Rom das Evangelium und gründeten die (dortige) Kirche. Nach ihrem Tod hat Markus, der Schüler und Dolmetscher des Petrus, ebenfalls in schriftlicher Form für uns hinterlassen, was Petrus verkündet hat. Und Lukas hat als Begleiter des Paulus das von ihm gepredigte Evangelium in einem Buch niedergelegt. Schließlich gab Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust lag, ebenfalls das Evangelium heraus, als er sich in Ephesus in Asien aufhielt.

Sie alle haben uns überliefert, daß es einen einzigen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, gibt, und einen einzigen Christus, Gottes Sohn. Wer ihnen widerspricht, der verachtet die Freunde Gottes, verachtet aber auch den Herrn selbst und verachtet auch den Vater, und er hat sich selbst gerichtet, weil er sich gegen sein Heil sträubt und widersetzt. Genau das tun die Häretiker.“ (III, 1,1,1.2)

Weiter heißt es: „Wenn man ihnen aus den Schriften beweist, daß sie im Irrtum sind, dann greifen sie sogar zur Anklage gegen die Schriften: Sie sind angeblich nicht fehlerfrei und nicht glaubwürdig“. (2,1) „Wenn wir sie dann aber auf die Überlieferung festlegen wollen, die auf die Apostel zurückgeht und die durch die Aufeinanderfolge der Presbyter in den Kirchen gewahrt ist, dann distanzieren sie sich von der Tradition und behaupten, weiser zu sein nicht nur als die Presbyter, sondern sogar als die Apostel, da sie die reine Wahrheit gefunden haben (wollen).“ (2,2)

„Gegen solche Leute haben wir zu kämpfen, bester Freund. Glatt wie Schlangen suchen sie nach allen Seiten zu entwischen.“ (2,3)

„Alle Menschen, die die Wahrheit sehen wollen, können sie sich in jeder Kirche anschauen. Und wir können die Bischöfe aufzählen, die von den Aposteln in den einzelnen Kirchen eingesetzt wurden, und deren Nachfolger bis in unsere Zeit.“ (3,1)

So also schrieb der hl. Irenäus im zweiten Jahrhundert, lange vor den Konzilien von Nicäa (325) und Chalzedon (451).

In unserer von den Bistümern subventionierten „Kirchenzeitung“ namens „Tag des Herrn“ werden wir nun pünktlich zur Weihnachtsvorbereitung (Ausgabe vom 11.12.11)  in Bezug auf die Frage: „Warum weiß Gottes Sohn nicht, was der Vater weiß?“ darüber belehrt, daß „die theologische Lehre vom dreifaltigen Gott, Vater, Sohn und Heiligem Geist, … erst im vierten und fünften Jahrhundert so formuliert [wurde], auf den Konzilien von Nikaia (325) bis Chalkedon (451). Erst danach konnte man fragen: Wenn Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, wieso weiß er dann nicht alles, was Gottvater weiß?“

Damit befinden wir uns mitten in einer „Kirchenzeitung“ auf dem Niveau von Dan Browns Roman „Sakrileg“, wo eine Romanfigur namens Teabing behauptet, das Christentum mit dem Glauben an die Gottheit Christi sei eine Schöpfung des 4. Jahrhunderts. Erst durch Kaiser Konstantin und das Konzil von Nicäa (325) sei der Glaube an die Gottheit Jesu eingeführt worden.

Unser Kirchenzeitungsschreiber Roland Juchem, immerhin stellvertretender Chefredakteur der Zentralredaktion der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück, erklärt uns in seiner mißglückten Antwort auf die Leserfrage zu Mk 13, 32 auch, daß mit „dem Wort ‚Sohn‘ (griech. hyos) … nicht unbedingt der Gottessohn gemeint“ sei. „Gedacht sein könnte auch an den Menschensohn, jene Figur aus dem Buch Daniel, deren Kommen das Ende der Zeiten einläutet.“, wobei dem Leser verschwiegen wird, daß Jesus gerade den Titel „Menschensohn“ bewußt für sich in Anspruch genommen hat. In seinem Jesusbuch (Bd. I) erklärt uns Papst Benedikt dazu, daß „mit dem Bild des Menschensohnes das künftige Reich des Heiles dargestellt wird – eine Vision, an die Jesus anknüpfen konnte, der er aber doch eine neue Gestalt gegeben hat, indem er diese Erwartung mit sich selbst und seinem Wirken in Verbindung brachte“ (S. 376f). In jenem Buch hätte Herr Juchem auch ein verständliches Kapitel über die Bezeichnung Jesu als „Sohn Gottes“ gefunden, mit der wohlbegründeten Konklusion: „Es gibt die Originalität Jesu. Nur er ist ‚der Sohn‘.“ (S. 396)

 

Darüber hinaus belehrt uns der „Tag des Herrn“ wie folgt: „Die Aussage, Jesus Christus sei wahrer Gott und wahrer Mensch, bedeutet nicht, daß Jesus ein wandelnder Gott auf Erden war.“ Damit entspricht unser Autor dem, was schon der hl. Hilarius von Poitiers (um 315 – 367/8) in bezug auf die genannte Stelle im Markusevangelium als Argumentation der Irrlehrer aufzeigte: „Nun macht man aber dieses ‚Nichtwissen‘ gegen den Einziggeborenen Sohn geltend: Er sei nicht Gott aus Gott geboren, nicht Gott gleich an Vollkommenheit.“ Der heilige Theologe fährt fort: „Fragen wir zuerst mit dem gesunden Menschenverstand, ob derjenige etwas nicht wissen könne, welcher der Urheber von allem ist, was ist und noch sein wird. […] Wie kann der Herr der Herrlichkeit, wenn er den Tag seiner Ankunft nicht weiß, eine vollkommene Natur haben? […] Aber wir müssen uns erinnern, daß in ihm Schätze des Wissens verborgen sind. Immer wenn Gott von sich sagt, er wisse etwas nicht, bedeutet dieses Nichtwissen nicht eine Einschränkung, sondern entweder, daß jetzt nicht die Zeit sei, darüber zu sprechen, oder der göttliche Heilsplan noch kein Handeln vorsehe. Wenn man also sagt, Gott habe dann gewußt, daß Abraham ihn liebe, als er dies dem Abraham nicht verbarg, dann muß man auch sagen, der Vater wisse den Tag, weil er ihn dem Sohn nicht verborgen hat. Wenn der Sohn den Tag ‚nicht weiß‘, dann bedeutet das geheimnisvoll, daß er darüber schweigt; und umgekehrt heißt: der Vater kennt den Tag, daß er darüber nicht schweigt. Und damit man nicht sagen könne, dieses Nichtwissen sei Schwäche, folgt: Nehmt euch in acht, seid wachsam und betet, denn ihr wißt nicht die Zeit.“

Sicher gibt es in den unzähligen alten und neuen Evangelienkommentaren von gestern und heute noch andere, modernere und vielleicht bessere Erklärungen dieses wirklich schwer zu verstehenden Evangelienverses, zu dem der Leserbriefschreiber im „Tag des Herrn“ seine Frage stellte. Eine heutige Auslegung in wissenschaftlicher Sprache finden wir etwa bei dem angesehenen Exegeten Joachim Gnilka, welcher schreibt: „Das Nichtwissen von Tag und Stunde impliziert die Anerkennung der eschatologischen Verfügungsgewalt des Vaters durch den Sohn.“  Die Basler Ärztin Adrienne von Speyr (+1967) schenkt uns in einer leichter zu verstehenden Sprache einen einleuchtenden, tiefen und hilfreichen Kommentar: „Es gibt also ein Geheimnis des Vaters, das der Sohn ihm überläßt. Der Sohn als Mensch und Gott zugleich, und die Engel, und noch viel mehr alle glaubenden Menschen übergeben schließlich alles dem Vater. Der Vater kennt jede Stunde. Indem wir glauben und uns dem Willen des Sohnes einfügen, überlassen wir, wie der Sohn, alles dem Vater… Wir wollen am Ende dem Herrn dafür danken, daß er dem Vater zuliebe auf seiten derer stehen will, die die Stunde nicht kennen. Und wenn uns zuweilen die Unkenntnis der Zukunft, die uns drohend scheint, mit Sorge erfüllt, so erinnern wir uns, daß der Sohn mit uns ist, daß seine Worte nicht vergehen, sondern in uns leben, und daß er mit uns zusammen die Stunde dem Vater übergibt.“

Wir müssen nun aber nochmals zu unserer Kirchenzeitung zurückkehren: Die Erklärung, die uns Herr Juchem gegeben hat, müßte nämlich konsequenterweise dazu führen, daß wir auf die Feier des Weihnachtsfestes in Zukunft ehrlichkeitshalber verzichten. Denn wie könnten wir, hätte Herr Juchem recht, noch singen: „Dich wahren Gott ich finde in meinem Fleisch und Blut; darum ich fest mich binde an dich, mein höchstes Gut.“? Und warum dann eigentlich noch Ostern feiern? Und warum noch singen: „Wahrer Gott, wir glauben dir, du bist mit Gottheit und Menschheit hier“?

 

Im Ersten Brief des Johannes heißt es: „Jeder Geist, der bekennt, Jesus Christus sei im Fleisch gekommen, ist aus Gott. Und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott.“ (4,2.3) Und in seinem Zweiten Brief: „Viele Verführer sind in die Welt hinausgegangen; sie bekennen nicht, daß Jesus Christus im Fleisch gekommen ist.“ (7). Und weiter: „Wenn jemand zu euch kommt und nicht diese Lehre mitbringt, dann nehmt ihn nicht in euer Haus auf, sondern verweigert ihm den Gruß. Denn wer ihm den Gruß bietet, macht sich mitschuldig an seinen bösen Taten.“ Daß derselbe, der geschrieben hat: „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe.“ (1 Joh 4,8), so hart sein konnte, erklärt sich dadurch, daß es im christlichen Glauben bei der Frage nach der Identität Jesu, die von Herrn Juchem irreführend beantwortet wird, um nichts weniger als um alles geht.

 

Ich bedaure daher, aus seelsorglicher Verantwortung die Frage stellen zu müssen, ob Katholiken noch länger diese Zeitung abonnieren und dadurch unterstützen können.