Predigt zum Zweiten Advent

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„Alles, was einst geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben.“ Diese Worte aus dem Römerbrief des Paulus, die wir in der 2. Lesung gehört haben, werden seit vielen Jahrhunderten am Zweiten Adventssonntag gelesen. Geduld, Trost, Hoffnung – das sind Dinge, die alle Menschen zu jeder Zeit brauchen, besonders vielleicht in dieser dunklen Zeit. Sie ist nicht nur wegen der kurzen Tage dunkel, sondern viele dunkle Wolken steigen am Horizont der Geschichte auf. Darüber will ich jetzt aber nicht sprechen. Wer aufmerksam ist und selbständig denkt, sieht es ja selbst.

 Also: „Alles, was einst – d.h. im Alten Testament – geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben.“ Es ist erstaunlich, welch große Hoffnung schon im Alten Bund immer wieder zum Ausdruck kommt. So die wunderbare Vision des Propheten Jesaja, die auch in den Advent gehört und die heute zuerst gelesen wurde. Der Prophet erinnert an die großen Hoffnungen und Verheißungen, die mit dem davidischen Königtum verbunden waren. Wie wir wissen, gab es die Verheißung, ein Nachkomme Davids, der „Sohn Davids“, würde kommen, um das Volk zu retten und ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens herzustellen. Der Antwortpsalm heute (Ps 72) singt auch von diesem König, der gerecht ist, der sich der Armen annimmt und dessen Reich nicht untergeht. Zu ihm kommen die Könige der Welt und huldigen ihm.

Aber war das nicht nur alles eine Illusion angesichts der wirklichen Tatsachen, der politischen und geschichtlichen Realitäten, der faktischen Niederlagen und Bedrohungen und angesichts des Versagens der tatsächlichen Könige? Was war denn noch übrig vom großen König David, dem Sohn Isais, und seinem königlichen Stamm? Der königliche Stammbaum Davids war gefällt. Nur noch ein Stumpf war da. Da war nichts mehr zu erwarten. Wir denken an so manche katholische Pfarrei in Deutschland, wo sich die alten Leute noch an die goldenen Zeiten erinnern, wo aber die Gegenwart erbärmlich aussieht. Wir wollen ja hoffen, aber sind das nicht alles Illusionen? Gleicht die Realität nicht tatsächlich einem gefällten Baum, der einst mit einer prächtigen Krone dastand und an den heute nur noch ein toter Stumpf erinnert?

Jesaja prophezeite aber: „An jenem Tag wächst a u s  d e m  B a u m s t u m p f Isais ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln trägt Frucht.“[1] Über diese Worte hat auch ein berühmter Augustinerchorherr vor etwa 900 Jahren eine Predigt gehalten:  Hugo von Sankt Viktor in Paris. Er war als Sohn des Grafen von Blankenburg in Hamersleben ausgebildet worden. Hugo predigte seinen Mitbrüdern über diesen Stumpf, diese Wurzel, und über den Zweig und seine Frucht: „Heilig ist die Wurzel und gesegnet ist seine Frucht. Virga est virgo Maria, flos filius eius. Der Reis ist die Jungfrau Maria, die Blüte ist ihr Sohn. Betrachtet, Brüder, die beiden dargestellten Wirklichkeiten: Reis und Blüte. Aus dem Reis wird die Blüte geboren. Die Jungfrau ist der Reis, die Blüte ihr Sohn.“[2] Unser schönes Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ singt genau davon. Unter den Nazis wurde es umgedichtet: Weihnachten wurde zwar erwähnt, aber nicht mehr Jesus und auch nicht Maria. Weihnachten ohne Jesus und Maria, das haben wir heute auch vielerorts. Aber mit Jesaja und Hugo stehen wir mitten im echten Advent, in der Zeit der Hoffnung. Richtig verstanden, müssen alle Christen Adventisten sein! Wir warten nicht nur auf das Weihnachtsfest und unsere Weihnachtsfeiern, sondern werden neu der Wahrheit inne, daß wir immer im Advent leben, nämlich in der erhofften und herbeigesehnten und verheißenen endgültigen Ankunft des wahren Friedenskönigs.

Vorher aber, das sagt uns die Hl. Schrift auch, wird das Böse stark und stärker, vorher erscheint der Antichrist, der Widersacher. In diesem Sinne ist selbst das stärker werdende Böse in der Welt ein Zeichen für die rettende Ankunft Christi! Bei Jesaja heißt es vom verheißenen König: Er „tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes“. Paulus nimmt darauf Bezug, wenn er im Zweiten Thessalonicherbrief schreibt: „Dann wird der gesetzwidrige Mensch allen sichtbar werden. Jesus, der Herr, wird ihn durch den Hauch seines Mundes töten und durch seine Ankunft und Erscheinung vernichten.“ (2,8) Das Gericht vollzieht sich einfach dadurch, daß Jesus erscheint. Im Licht seiner Wahrheit wird alle Lüge entlarvt und durch den Hauch seines Mundes getötet.

Wir sehen, daß Kommen des Erlösers ist mit einem Gericht verbunden. Gegen Ende drängt alles zu einer Entscheidung. Von Gericht und Entscheidung spricht daher auch Johannes der Täufer, dieser große Heilige des Advents und Vorläufer Christi. Er ruft im heutigen Evangelium den Menschen zu, sie sollen umkehren, umdenken, Buße tun: „Bereitet dem Herrn den Weg!“ Wegbereitung, das heißt: Hindernisse wegräumen, gute Früchte bringen. Worte allein reichen nicht. Die frommen Pharisäer und die arrivierten Sadduzäer werden von Johannes als „Schlangenbrut“ angesprochen. Es reicht nicht, Nachkommen Abrahams zu sein, wie sie von sich behaupten. Nicht nur Nachkommen, sondern Kinder Abrahams zu sein, darum geht es![3] Es reicht nicht, katholisch zu sein, einen Taufschein zu haben. „Meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen.“ Das gilt auch heute. Es kommen Menschen zum Glauben, von denen man es nie gedacht hätte. Wenn alle Katholiken abfallen und lau werden, kann Gott aus „Steinen“ neue machen. Und das geschieht auch. Es reicht ebenfalls nicht, wenn wir sagen: Ich habe ja keinen umgebracht. Der Evangelist Johannes schreibt: „Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Mörder“ (1 Joh 3, 5).* In diesem Sinne sind vielleicht auch Mörder heute hier in der Kirche.

Die Leute zogen zu Johannes hinaus, bekannten ihre Sünden und ließen sich taufen. Johannes spricht vom dem, der nach ihm kommt: „Schon hält er die Schaufel in der Hand; er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.“ Jesus richtet. In jedem von uns ist beides: Weizen und Spreu. Jesus richtet. Er trennt die Guten von den Bösen. Damit wir nicht am Ende zu den Bösen, zur Spreu, gehören, müssen wir uns vorher selbst dem Gericht stellen, uns dem Licht öffnen, unsere Sünden bekennen und Jesus bitten, durch sein Gericht der Barmherzigkeit  i n  u n s  das Böse vom Guten zu trennen. Dazu ist uns die großartige Möglichkeit der ehrlichen sakramentalen Beichte geschenkt.

Wenn wir uns selbst dem Gericht der Barmherzigkeit stellen, dann lernen wir auch, uns gegenseitig geduldiger anzunehmen, so wie es Paulus den römischen Christen und uns heute ans Herz legt: „Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.“

„Alles, was einst geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben.“

In diesem Sinn allen einen gesegneten und hoffnungsvollen Advent! Amen

 

[1] « Et egredietur virga de radice Jesse, et flos de radice ejus ascendet. »

[2] Hugo de Sancto Victore, Egredietur Virga.

[3] Vgl. Röm 9,7

 

 

* Übersetzung für Gendersprechfans: „Jeder oder jede, die oder der seinen oder ihren Bruder oder seine oder ihre Schwester haßt, ist ein Mörder oder eine Mörderin“.