500 Jahre Bauernüberfall Hamersleben

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Vor einiger Zeit fand ich in den Unterlagen des Augustinerchorherrenstiftes Hamersleben einen alten lateinischen Text mit einem beeindruckenden und interessanten Bericht über ein tragisches Ereignis aus der Zeit der Bauernkriege. Nun jährt sich der brutale Überfall auf das Hamerslebener Chorherrenstift St. Pankratius zum 500. Mal.

Der lateinische Text scheint aus der Feder eines Augenzeugen zu stammen, ist aber wohl eine spätere Abschrift und kein Original aus dem 16. Jahrhundert. Interessant ist, daß der berühmte Thomas Müntzer hier „Thomas Monster“ heißt.

Herr Dr. Ulrich Hering war dann so freundlich, eine vollständige deutsche Übersetzung zu erarbeiten. Diese wird im Folgenden mit einem herzlichen Dank an den Übersetzer widergegeben.

Es gibt weitere historische Quellen, welche Herr Günter Peters (Berlin) verarbeitet hat  anlässlich der Tagung in Eisleben „Bauernkrieg zwischen Unstrut und Elbe. Die Aufstände 1524/25 im heutigen Sachsen-Anhalt“ am 14. und 15. November 2024. Das für den Druck erweiterte Manuskript verarbeitet, soll Ende des Jahres veröffentlicht werden.

Hier beziehen wir uns nur auf die von mir entdeckte Quelle unbekannter Herkunft und lassen sie  für sich stehen.

Pfr. Christoph Sperling

I – Sequitur tribulatio nostra, direptio et ejectio, inde reversio Anno Domini 1525 Es folgt unsere Bedrängnis, Beraubung und Vertrei­bung darauf die Rückkehr im Jahre des Herrn 1525
II – Anno Domini 1525: convalescente Lu­the­r­a­na factione contra clerum, invalescen­tibus rusticis circa Sangerhausen, Duce Tho­ma Monster, destruxerunt castra, et effuga­tis personis religiosis monasteria quaedam in­cenderunt igni, quadam ablatis rebus de­struxerunt; donec Hinricus Dux Brunswi­cen­sis et Dux Georgius Misnensis, congre­ga­ta manu armata Vasallorum circa Sanger­hu­sen /:emendavit aliq[uis] Franken­hu­sen:/ et Mollhusen partem tri­umphatos occiderunt, ceteris interim di­spersis. Im Jahre des Herrn 1525: Mit dem Anwachsen der lutheranischen Anhängerschaft gegen den Klerus und dem Erstarken der Bauern um Sangerhausen unter der Führung des Thomas Monster haben sie Burgen zerstört und nach der Vertreibung der Reli­giosen etliche Klöster angezündet, haben einige der gestohlenen Dinge zerstört; solange bis Herzog Hein­rich [II.] von Braunschweig und Herzog Georg [dem Bärtigen] von Meißen mit einer versammelten Streitmacht von Lehnsmännern bei Sangerhausen (jemand hat verbessert: Frankenhausen) und Mühl­hausen ei­nen Teil der Siegreichen [Bauern] getötet haben, während die übrigen versprengt wurden.
III – Quibus ibidem occupatis, rustici vicini spe­rantes omnia futura communia, omnia mo­nasteria Dioeceseos Halberstadensis et Mo­guninensis direptis bonis destruxerunt. Einige von den dort Ergriffenen, Bauern aus der Um­gebung, die hofften alles werde künftig Gemeinei­gentum, haben alle Klöster der Diözesen Halberstadt und Mainz nach dem Raub ihrer Güter zerstört.
IV – Pri­die Johannis ante Port[am] latinam inva­se­runt Huysburg Monachis effugatis et rebus abla­tis incenderunt igni. Am Vortag von Johanni [24. Juni] sind sie von der  Porta Latina [alternativ: Am Vortag des Festes des hl. Johannes vor der lateinischen Pforte (6. Mai) sind sie] in Huysburg eingedrungen und haben es nach der Flucht der Mönche und dem Raub der Güter angezündet.
V – Ita crastino vero scilicet in die Johannis ante Port. latin[am] meridie invaserunt mo­na­ste­rium nostrum Hamersleben ductore Wer­ne­ro Sangerhusen comitantibus rusticis de Schwanebecke expulerunt fratres omnes. Ebenso sind sie am Tag nach Johannis von der Porta latina aus [alternativ: am Tag nach dem Fest des hl. Joh. vor der lateinischen Pforte] in unser Kloster Hamersleben eingedrun­gen und haben unter der Führung des Werner [von] San­gerhausen begleitet von Bauern aus Schwane­beck alle Brüder vertrieben.
VI – Adveniente tertia die vulgo Halbersta­den­si diripuerunt omnia, nihil relinquentes, ita ut nec scamnum, nec sedes, nec fenestra, nec janua, nec scutella aut cochleare, nec pugil­lus frumentorum, nec quicquam aliud re­ma­neret, solus parietibus domorum relic­tis, confractis et deportatis asseribus, volen­tes et cupientes totum monasterium igni tra­de­re comburendum. Am dritten Tag haben die „Halberstädter“ Genann­ten alles geraubt und nichts zurückgelassen, so daß weder Bänke, noch Stühle, noch Fenster, noch Türen, noch Trinkbecher oder Löffel, noch eine Hand voll Korn, noch irgend etwas anderes übrig geblieben ist außer den Häuserwänden, zerbrochenen und weg­geschleppten Latten und sie haben ernsthaft beab­sichtigt und versucht, das ganze Kloster durch Feuer zu vernichten.
VII – Sexta dehinc feria sequenti fuit Solem­nitas Sancti Pancratii Martyris gloriosi Pa­tro­ni Ec­clesiae, (aqui clare ostendit se magnum apud Deum meriti, (bcujus, ut cre­di­mus, intercessi­o­ne Vasallus quidam Ma­thi­as de Veltheim, posessor Castri intra Oschers­leve, misit fa­mi­liam suam de Oschers­leve, cum rusticis Jurisdictionis suae, associatis quibus­dam equi­tibus de Pregnisse, expulerunt de mo­na­sterio omnes, quotquot repererunt, oc­ci­sis multis /:nesci­mus numerum:/. Am sechsten folgenden Werktag ab da war das Hochfest des Heiligen Märtyrers Pancratius, des ruhmreichen Kirchenpa­trons, der zeigte, daß er sich bei Gott großen Ver­dienstes erfreut, auf dessen Fürsprache, wie wir glauben, ein gewisser Lehnsmann Mathias von Veltheim, Inhaber der Burg in Oschersleben, seine Familie aus Oschers­leben zusammen mit seinen ihm unterstehenden Bauern, begleitet von einigen Rittern aus Priegnitz geschicht hat. Diese habe alle aus dem Kloster ver­trieben, wie viele sie dort vorfanden und haben viele von diesen getötet (wir kennen deren Anzahl nicht).
VIII – Dehinc Sabbatho sequenti redeuntes qui­dam de nostris invenerunt monasterium va­cuum ab omnibus. (1Cuperunt tam fratres, quam laici paulatim reverti et resarcire con­fracta; donec post mensem et hebdomadam (nam) Pater Henricus Prior accedens Hallas ad Episcopum Albertum recepisset Licenti­am redeundi, qui et promisit tuelam do­lens de damno, jussitque nostra restitui per ru­sticos omnia, (cquae nostra illic reperire­mus. Als am darauffolgenden Samstag einige von uns zu­rückgingen, fanden sie das Kloster völlig entleert von allem vor. Ebenso die Brüder wie die Laien woll­ten allmählich zurückkehren und das Zerstörte wie­derherstellen, bis nach einem Monat und einer Wo­che Pater Heinrich, der Prior, nach Halle zu Bischof Albert [Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg, Administrator von Halberstadt und Ku­rerzbischof von Mainz] ging und die Erlaubnis zur Rückkehr erhielt; dieser versprach auch aus Schmerz über unseren Schaden seinen Schutz, befahl, daß uns von den Bauern alles zurückzugeben sei, was wir von unserem Gut dort finden würden.
IX – Et sic quibusdam Confratribus assen­tien[ti]bus receptis cupimus restaurare con­fracta. Sed qui Dominus (2suos non permisit tentari ultra quam possent sufferre, (dcum esset aura cle­mens et temperata jacuimus per sex et eo amplius hebdomadas in hor­deis /:horreis:/ in straminibus; emen­tes mo­dium siliginis pro duobus florenis, mo­dium avenae uno floreno. Accipientes po­len­tam ab hospite Hans Beren de Bruns­wick et a Mo­nialibus (accom)commodato de Had­mers­leve, (edonec nostra maturescerent sata; nam fru­men­torum sa­tio completa fu­erat ante expul­sionem, nec fuisset spes reas­sumt­ionis bo­no­rum monas­terii, (fnisi agro­rum sata auxi­lium praebuis­sent. Und so versuchten wir durch Aufnahme einiger zu­stimmender Brüder das Verlorene zurückzubekom­men. Aber, weil der Herr nicht zuläßt, daß die Seinen über das erträgliche Maß hinaus tragen müssen, la­gen wir, weil die Luft mild und warm war, für sechs und ein paar Wochen in der Gerste (in Scheunen) auf Stroh. Wir kauften einen Scheffel Weizenmehl für zwei Gulden, einen Scheffel Hafer für einen Gulden. Gerstengraupen bekamen wir von dem freigiebigen Herrn Hans Beren auch Braunschweig und von den in Hadmersleben ansässigen Nonnen, bis un­sere eigene Saat reif würde, denn die Aussaat war noch vor unserer Vertreibung abgeschlossen gewe­sen, und es bestand keine Hoffnung, die Klöstergü­ter wieder­zuerlangen, ohne daß die Ernten der Fel­der dazu ihre Hilfe leisten würden.
X – De hinc circa festum Galli Ecclesia et sum­mum Altare reconciliata fuerunt cum Sex Altaribus supremis. Anno vero sequenti scilicet 26. in festo Mi­chaelis Sex Altaria in Parte inferiori cum quatuor Altaribus in Capella B. Virginis, itemque Altare in Capella Sancti Andreae reconciliatum fuit, favente Altissimo. (3Dein­de cupimus paula­tim Clericos et laicos reci­pere. Von da ab wurden mit dem Wohlwollen des All­mächtigen am Fest des Hl. Gallus [16. Oktober] die Kirche und der Hochaltar wiederhergestellt zusam­men mit den sechs Hauptaltären. Im Folgejahr `26 wurden zum Fest des Hl. Michael [29. September] sechs Altäre im unteren Teil [der Kirche] zusammen mit vier Altären in der Marienkapelle wiederherge­stellt; ebenso der Altar in der Andreas­kapelle. Seit­her versuchen wir allmählich wieder Kle­riker und Laien [in den Konvent] aufzunehmen.
XI – ita Thomas Hartmann in suis scriptis. Soweit Thomas Hartmann in seinen Schriften.

 

 

Anmerkungen:

  1. Der Text ist sicher die Abschrift eines älteren Textes. Die vorliegende Handschrift dürfte auf­grund ih­rer Form und Ausprägung aus dem XVIII. Jhdt. stammen. Der Kopist war ein im Lateinis­chen geübter Schreiber (nur 2 Korrekturen in Abs. VIII u. IX und ein Flüchtigkeitsfehler in Abs. IX), weshalb anzunehmen ist, daß er selbst Kleriker und/oder akademisch gebildet war. Die Hand­schrift des Kopisten ist klar und sauber; sie ähnelt stark den Matrikeleintragungen des XVII./XVIII. Jhdt. Sicher ist die vorliegende Abschrift in einem Zuge und von einer Hand verfaßt worden; zwi­schen fol. 1 u. 2 hat der Schreiber entweder die Feder gewechselt oder diese frisch angeschnitten, weil das Schriftbild auf fol. 2 klarer ist und die Tinte weniger verläuft. Dies und die Gleichmäßig­keit der Schrift deutet eher auf die ruhige Kopie eines vorliegenden Ursprungstextes in einem or­dentlichen Arbeitsraum hin als auf die unmittelbare Niederschrift und Schilderung von kaum ab­geschlossenen und gewiß emotional aufwühlenden Ereignissen.
  2. Der Kopist hatte wohl auch nicht den Originaltext vor Augen, sondern bereits eine von weite­rer Hand kopierte und emendierte Handschrift (vgl. die übernommenen Konjektu­ren in Abs. II, VII und IX), die flüssig in den kopierten Text übernommen und nicht ex post eingefügt wurden.
  3. Die Übernahme dieser Konjekturen in die vorliegende Textkopie unter Beibehaltung des Ur­sprungstextes beweist ein zumindest an­satzweise wissenschaftliches bzw. textkritisches Interesse des Kopisten, das vor dem Ende des XVII. Jhdts. eher unüblich war. (Die humanistische Textkritik wog Varianten noch grammatikalisch und stilistisch ab und entschied sich dann zumeist für die sprach­lich „elegantere“ Version ohne die Varianten anzugeben – vgl die „Textus Receptus“-Editio­nen des NT von Erasmus und Henricus Stephanus).
  4. Der Autor des Ursprungstextes dürfte als Chorherr in Hamersleben (vgl. Abs. V) vielleicht be­grenzt Augen-, überwiegend aber Ohrenzeuge der geschilderten Ereignisse gewesen sein. Der Tempus­wechsel vom Perfekt der Ereignisschilderung zum Präsens im Schlußsatz des Abs. X läßt vielleicht den Schluß zu, daß der Ursprungstext nicht lange nach dem vorläufigen Ende der Ereig­nisse in der Phase der Wiederherstellung des CR-Stifts in Hamersleben verfasst wor­den ist.
  5. Der Autor des Ursprungstextes schreibt ein grammatikalisch sauberes, stilistisch aber eher ein­faches Latein mit auffälliger Neigung zu Hauptsatz und Aufzählung; Von den sechs (6) Nebensät­zen (vgl. (a-(f) sind drei (3) attributive (relative) NS (vgl. (a-(c); zwei kon­junktivische NS (vgl (e u. (g) und ein temporaler (vgl. (f) werden jeweils durch Konjunktion und Sachlogik erzwungen. In Abs. VIII „qui et promisit …“) ist „qui“ Demonstrativpronomen und leitet einen HS ein.

Während der Text nur drei satzwertige Infinitivkonstruktionen enthält (vgl. (1-(3), die alle unver­meidbar sind, weil sie von Verba volendi erzwungen wer­den, fallen die häufigen Ablativkonstruk­tionen ins Auge, bei denen sich der Autor wohl grammatikalisch „sicher(er)“ gefühlt haben könn­te. Von der lateinischen Stilistik deutet dies tatsächlich auf eine Abfassung des Ursprungstextes im XVI. Jhdt. hin.

  1. Daß der in Abs. X erwähnte Thomas Hartmann der Autor des Textes war, kann als zweifelhaft gelten; wahrscheinlich ist er ein späterer Kopist und Konjektor. Denn es wäre zu erwarten, daß ein Chorherr aus Hamersleben im XVI. bis XVIII. Jhdt. entweder als „D.nus Thomas CR“, „D.nus Thomas de Hamersleben“ oder zumindest als „Pater Thomas“ tiuliert worden wäre – sogar von einem protes­tantischen Kopisten. Sicher scheint indes, daß „Thomas Hartmann“ nicht der Kopist des vorliegen­den Manuskripts ist, weil ansonsten Abs. X völlig unerklärlich und überflüssig wäre.

Dies läßt es als sehr wahrscheinlich sein, daß der genannte „Thomas Hartmann“ einer der vorange­gangenen Kopisten des Ursprungstextes oder ein Chronist war, der den Ursprungstext in seine ei­gene Schilderung der bereits länger zurückliegenden Ereignisse übernommen hat; auch weil mo­nastische Chronisten bis ins XVII./XVIII. Jhdt. hinein wegen der klösterlichen „humilitas“ meist ungenannt blieben.

Weiters verweist das Plural in Abs. X auf mehrere oder weiter Schriften des Autors Thomas Hart­mann hin, bei dem es sich daher vielleicht um den Eislebener Archidiakon und Kirchenlieddichter Thomas Hartmann (1548-1609) gehandelt haben könnte, dem Herkunft und/oder zeitliche Nähe ein persönliches Interesse an den geschilderten Ereignissen gaben.

  1. Da das Kloster Hamersleben nach 1525 auch noch 1548 von protestantischen Marodeuren aus Magdeburg geplündert worden ist, wobei besonders Bibliothek und Archiv (wohl wegen der dort verwahrten Besitzurkunden) betroffen waren, könnten die Aufzeichnungen eines unbekannten klösterlichen Chronisten auf diesem Wege in die Hand Hartmanns gekommen sein.

Dr. Ulrich Hering

Grammatischer Kommentar:

„Accipientes po­len­tam ab hospite Hans Beren de Bruns­wick et a Mo­nialibus (accom)commodato de Had­mers­leve, donec nostra madurescerent sata;“ Die Chorherren bekommen also Gestengraupen von A „et“ B, bis zur eigenen Ernte. 

Da haben wir mit dem accomodato ein Problem. Grammatikalisch kann es nur zu hospite passen, aber dagegen sprechen drei zwingende Gründe: 

1) Als Hyperbaton kann es eigentlich nicht über das trennende „et“ hinaus geführt werden.

2) Das „et“ ist ein trennendes „und“, das Verschiedenes verbindet, während das enklitische -que nur Gleiches verbindet.

3) Die Stellung zwischen den moniales und Hadmersleve.

Daher habe ich es als „accomodatis“ und damit als attributiv zu den monialibus aufgefaßt.

Zusätzliche Quellen:

Quellen: Volker Stelzmann: Thomas Müntzer, 1976; ebenso: Thomas Müller, in: Zeitzeichen, über Bauernkrieg und das Verhältnis von Luther und Müntzer.