Predigt zum Jubiläum 1872-2022

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Predigt zum Kirchweihjubiläum 1872-2022 1 Kön 8,22-23.27-30; 1 Petr 2, 4-9, Joh 2, 13-22

 

Liebe Mitbrüder, liebe Gäste, Brüder und Schwestern!

Der Tempel von Jerusalem, aus dem Jesus die Händler vertrieb, war in 46 Jahren gebaut worden. Unsere Kirche, sehr klein gegenüber dem riesigen Tempel, aber dennoch ein beachtliches Bauwerk, wurde 1867/68 im Rohbau innerhalb von nur 365 Tagen fertiggestellt. Ist heute die Zeit, wo Betriebe geschlossen werden, war damals die Zeit der Industrialisierung. Vor allem junge Leute, junge Familien, ein junger Priester und ein junger Architekt trieben den Bau voran. Eine arme, aber opferbereite und stark anwachsende Katholikengemeinde mit einem starken Glauben, klaren Zielen und beeindruckender Schaffenskraft. Die armen, ausgebeuteten Arbeiter kamen oft erst sonntags früh um 6 Uhr aus der Schicht und mußten um 18 Uhr wieder antreten. Vor 1858 mußte man aber zu Fuß nach Hadmersleben zur Messe laufen. Pfr. Heinemann aus Meyendorf versuchte, sich etwas um die Gläubigen hier zu kümmern, hatte aber auch einen weiten Weg. Endlich der erste Priester nach über 300 Jahren, mußte die Messe in einer Kneipe feiern. Anschließend wurde die Notkirche errichtet (wo jetzt der Parkplatz hinterm Chorraum ist). Wir lesen in einer alten Schrift aus jenen Jahren: „Für die ganze Gegend ist Oschersleben der Mittelpunkt des religiösen Lebens, weil auf der ganzen Strecke von Magdeburg und Halberstadt, ja bis Braunschweig hinauf, dies der einzige Ort ist, wo eine bedeutendere Katholische Gemeinde in einer größeren Stadt sich befindet und ein reges religiöses Leben in höchst erfreulicher Weise sich entwickelt.“ Der Missionspriester Anton Harbort erbettelte Spenden in Paderborn, Köln, Trier und anderswo. Dann starb er 32jährig an der Cholera. Unter seinem Bruder konnte dann endlich diese Kirche errichtet werden. Anton hatte 6000 Taler zusammengebettelt. Notwendig waren 12 000. Und nochmals 3000 für die notwendigste Ausstattung. Obwohl man bitterarm war, handelte man nach folgendem Grundsatz: „Was nothwendig ist, muß möglich sein ;und was möglich ist, kann mit fröhlichem Herzen angegriffen werden, weil man aufschauen darf zu Gott, der die erste und nothwendigste Hülfe leistet, und umschauen darf nach denen, die helfen können und sollen, damit das Mögliche, was hier nothwendig ist, ausgeführt und vollendet werde“. Am 31.7.1867 legte der Paderborner Bischof auf einer Firmreise den Grundstein. Und es hieß: „Bis zum 1. August 1868 muß und wird die Kirche fertig sein.“ Und sie wurde fertig! Geweiht wurde sie erst vier Jahre später, am 21.6.1872 durch denselben Bekennerbischof Konrad Martin. Denn nur ein Bischof weiht eine neue Kirche. Und so oft kam ein solcher damals nicht vorbei. Wir holen dieses 150. Jubiläum heute nach. Und dies in der Freude, in den letzten Monaten unser Gotteshaus aufwendig renoviert zu haben. Es ist noch nicht alles ganz fertig. Aber die Kirche erstrahlt in neuem Kleid. Sie ist schön, sauber, hell. Und wir dürfen trotz aller Sorgen dankbar sein und froh an diesem festlichen Tag. Ich hoffe auch sehr, daß dieses Fest uns im Glauben stärkt und in der Gemeinschaft untereinander.

In einer Bettelschrift von 1868 hieß es: „Ich bitte im Namen Gottes für die arme Missionsgemeinde zu Oschersleben, weil auf ihr eine große Zukunft ruht!“ Dieses Wort hat sich bewahrheitet. Nun stehen wir im Jahr 2022 und blicken auf diese beeindruckende über 150jährige Geschichte zurück. Aber wir blicken nicht nur in die Vergangenheit, über die viel zu sagen wäre, sondern auch in die Zukunft. Es gab wohl seit dem Herbst 1989 keinen Moment, in dem die Zukunft so ungewiß erschien wie jetzt. Damals war es aber eher die Hoffnung, die die Menschen erfüllte. Heute ist es die Sorge. Dunkle Schatten stehen am Horizont der Geschichte. Gerade auch deshalb dürfen wir dankbar sein, diese schöne, helle Kirche als unser Gotteshaus zu haben. Lassen wir dieses Bauwerk mit seiner Ausstattung zu uns sprechen. Es hat uns viel zu sagen.

Schauen wir auf den Taufbrunnen. Wer wurde in dieser Kirche getauft? Insgesamt schon viele Tausende sind hier getauft worden. Im Pfarrhaus liegen die alten Taufbücher. Sehr beeindruckend. Durch die Taufe und den Glauben (beides gehört zusammen) werden wir Kinder Gottes und Glieder der Kirche. Zur Taufe gehört die Firmung, die Stärkung durch den Hl. Geist. Auch dieses Sakrament haben viele hier durch die verschiedenen Bischöfe empfangen. Bei der Firmung können dann diejenigen, die als Kleinkinder anläßlich ihrer Taufe noch nicht selbst sprechen konnten, selber den Glauben bekennen. Es ist der Glaube der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Deswegen haben wir auch die 12 Apostelleuchter. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, daß wir schöne neue Bronzeleuchter angeschafft haben, angefertigt von einem Metallkünstler aus der Gegend von Bremen. Im Epheserbrief heißt es: „Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlußstein ist Christus Jesus selbst.“ Nicht eine Wanderdüne im Wind des Zeitgeistes ist darum unser Glaube. Mag sich auch viel Äußeres ändern und ändern müssen mit der Zeit, so kann doch niemand ein anderes Fundament legen als das gelegte: Jesus Christus, wie er verkündet wurde von den Aposteln und ihren Nachfolgern. Wir gehören zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche und nicht zur „deutschen demokratischen Kirche“ oder sonst einem Gebilde. Die Wahrheit Gottes ändert sich genausowenig wie die Gesetze der Physik. „Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.“ (Hebr 13, 8) Seine Treue und Wahrheit ändern sich nicht von Geschlecht zu Geschlecht. (vgl. Ps 88(89), 2)

Dann haben wir hinten die Beichtkammer und unseren Beichtstuhl. Wir sind zur Heiligkeit berufen und doch schwache Menschen. Darum hat Christus am Ostertag dieses Sakrament eingesetzt, das Sakrament der Wahrheit und der Barmherzigkeit. Es taucht uns immer wieder ein in die Gnade der Taufe. Wir dürfen dieses Sakrament nicht verachten. Es ist manchmal schwer zu beichten. Aber das Geschenk, das wir durch eine gute und ehrliche Beichte empfangen, ist unermeßlich. Die äußere Renovierung der Kirche hilft wenig, wenn nicht der einzelne Gläubige bereit ist, in seinem Herzen sich reinigen und erneuern zu lassen.

Vom Beichtstuhl gehen wir dann nach vorn. Wir sehen den Ambo. Die schöne alte Kanzel gibt es leider nicht mehr. Hier wird das Wort Gottes verkündet, das Wort des Lebens, Licht für unseren Weg. Dann schauen wir auf den geweihten Altar. Hier wird das eucharistische Opfer vollzogen. Der Altar ist kein einfacher Tisch, sondern ein Opferstein. Auf ihm wird in jeder hl. Messe das Erlösungsopfer, das Christus für uns am Kreuz dargebracht hat, gegenwärtig. „Eher könnte die Welt ohne Sonne bestehen, als ohne das hl. Meßopfer.“, sagt P. Pio. Was Christus dieses Geschenk kostete, das illustrieren die 14 Kreuzwegstationen und das beeindruckende große Kreuz aus dem 14. Jahrhundert.

Nachdem wir den Altar in den Blick genommen haben, schauen wir zu dem neuen Gemälde des Seligen Carlo Acutis. Angefertigt vom Kölner Maler Ulrich Moskopp, heute mit seiner Familie hier anwesend. Geboren 1991 verstarb Carlo schon 2006. Er wäre heute 31 Jahre alt. Er war einerseits ein „normaler“ Jugendlicher unserer Zeit mit Turnschuhen und einer großen Begabung für Informatik. Und zugleich jemand, der Jesus Christus von früher Kindheit an liebte und ganz im Glauben der Kirche stand. Er zeigt uns, daß der Glaube keine verstaubte Angelegenheit früherer Jahrhunderte ist, sondern eine immer sprudelnde Quelle gestern, heute und in Ewigkeit. Carlos Liebe galt besonders dem eucharistischen Herrn. Er spielte gern Fußball, hatte Spaß mit seinen Freunden, kümmerte sich um Obdachlose und ging jeden Tag zur Messe, nicht nur sonntags. Er kannte den Wert der hl. Eucharistie. Als er einmal zu einer Pilgerreise nach Jerusalem eingeladen wurde, sagte er: „Ich möchte lieber in Mailand bleiben, weil es hier so viele Tabernakel in den Kirchen gibt, wo ich jederzeit hingehen und Jesus besuchen kann, und deshalb brauche ich nicht nach Jerusalem zu reisen.“ Gestern abend haben wir das Allerheiligste wieder in die Kirche gebracht. Das ewige Licht leuchtet wieder nach sechs Monaten Pause. Unsere Kirche ist kein leerer Versammlungsraum, sondern sie ist Wohnort Gottes. Hier spüren wir die Wärme Seiner treuen Liebe.

Carlo Acutis hatte auch eine innige Beziehung zur Gottesmutter. Und so wollen wir am Schluß auf unsere Pfarrpatronin zum Flügelalter blicken, darin zur Madonnenstatue aus dem 15. Jahrhundert. Seit einiger Zeit schmückt ihr Bild auch das Pfarrhaus und wird abends und morgens im Dunkeln beleuchtet, was im Herbst und Winter ein schönes, tröstliches Bild ist. Solange uns der Strom nicht abgeschaltet wird, wird das auch so bleiben. Der Blick auf Maria ist wichtig. Sie führt uns immer zu Christus hin. Sie, die unbefleckt Empfangene, die vom Beginn ihrer Existenz an der Liebe Gottes keine Widerstände oder Hindernisse entgegensetzte, ist Seine und auch unsere Mutter. Der unbegreifliche Gott wohnt in ihrem Herzen, in ihrem Schoß. Sie hält Ihn in ihren Armen. Durch sie tritt Er als Licht in diese Welt. Dieses Licht ist unauslöschlich. Möge unsere Kirche und unser gelebter Glaube davon zeugen, heute und morgen. Amen