Zum Ersten Fastensonntag

Veröffentlicht in: Aktuelles, Worte des Pfarrers | 1

1 Fastensonntag A 2020

Eine Grundfrage des Lebens ist: Wo kommt das Böse her? Warum ist die Welt so schlecht? Warum sind wir selbst oft so anfällig für das Böse? Warum ist der Tod nicht ein friedliches und frohes Entschlafen zu Gottes Leben hin, sondern etwas, das uns ängstigt und schreckt?

Momentan gibt es viel Aufregung wegen des sogenannten Coronavirus. Und es gibt Berichte – ob sie stimmen, werden wir vielleicht nie erfahren, aber ich persönlich vermute, daß sie glaubwürdig sind –, daß das Virus aus dem chinesischen Biowaffenlabor in Wuhan stammt. Jedenfalls breitet es sich aus. Und es scheint unaufhaltsam. Wir erinnern uns an Goethes Zauberlehrling: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“

In der zweiten Lesung aus dem Römerbrief ist heute die Rede von einem anderen Virus, einem viel tiefer wirkenden, dem Virus der Sünde: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten.“ Hier wird dieses Geheimnis des Bösen berührt, das vom einen auf die vielen übergeht. Der fundamentale Zusammenhang aller Menschen untereinander wird deutlich. Ein Zusammenhang, der uns im Zeitalter des Individualismus nur schwer einleuchten will. Denn unsere Mentalität ist doch eher: Ich bin ich, und du bist du. Vielleicht verpartnern wir uns als Lebensabschnittgefährten, aber im Grunde lebt jeder aus sich selbst und für sich selbst. Kinder sind nicht mehr Geschenk Gottes, sondern Produkt. Das Leben daher auch nicht mehr unverfügbar. Das Sterben nicht mehr heiliger Augenblick des Übertrittes in die Ewigkeit, sondern sogenanntes autonomes, selbstbestimmtes Ende des Lebens, welches nach eigenen Maßstäben eingeschätzt und dann eben auch abgebrochen werden kann. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes geht in diese Richtung. Anderen Menschen beim Selbstmord zu helfen, ist hoffähig geworden. Das Gift dazu wird schönfärberisch Medizin genannt. Was Gut oder Böse für ihn ist, entscheidet jeder selbst. Und hinter dieser Welt gibt es keine größere Wahrheit und daher auch keinen Maßstab über uns selbst hinaus. Selbst uns Christen hat diese Mentalität tief geprägt.

Und so fällt es uns schwerer als anderen Generationen vor uns, jene Wahrheit anzunehmen, die Paulus anspricht. Entgegen dem dominierenden Lebensgefühl, wo jeder ganz autonom und unabhängig für sich steht, ist es ja in Wirklichkeit ganz anders. Paulus weiß das: Wir hängen alle zusammen. Wir sind alle Kinder von Adam und Eva. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und ohne Stamm gibt es gar keinen Apfel. Und wenn ein Apfel faul ist, werden es auch die anderen in der Kiste. Wir sind viel tiefer miteinander verknüpft, als uns das bewußt ist; abhängig voneinander und uns gegenseitig beeinflussend, durch geheime Lebensadern verbunden, nicht nur auf der Ebene des natürlichen Lebens, sondern – und darum geht es hier eigentlich – auch auf der des übernatürlichen Lebens. Meine heimliche Sünde bleibt nicht ohne Auswirkung auf dich und auf uns als Gemeinschaft. Das Virus der Sünde geht unsichtbar über vom einen auf den anderen.

Adam und Eva stehen für uns alle. Die Schlange steht für den Satan, den Versucher, der ganz geschickt nicht einfach eine platte Lüge ausspricht, sondern die Lüge demagogisch in eine Halbwahrheit kleidet: „Hat Gott wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“. Und er sät Eva das Mißtrauen ins Herz: „Nein, ihr werden nicht sterben. Gott weiß vielmehr: sobald ihr davon eßt, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“ Ist das nicht genau die Versuchung, in der sich die Menschheit heute in ganz besonderer Weise wieder befindet? Der Versuch, wie Gott zu werden, aber eben nicht, indem wir uns das von Gott schenken lassen als seine geliebten Kinder, sondern wie Gott zu werden ohne Ihn, gegen Ihn, im Ungehorsam, in von Gott losgelöster Autonomie. Die Versuchung, uns selbst an Gottes Stelle zu setzen und nicht nur Gut, sondern auch Böse zu erkennen, also auch autonome Richter über Gut und Böse zu sein. Wenn ich etwa meine, daß es jetzt gut ist, mittels eines Giftes aus diesem Leben zu scheiden, wenn ich das mit meinem autonomen Gewissen so entscheide, dann ist es auch gut. Es gibt da keine Instanz mehr, die über mir und über dir steht und uns so auch miteinander verbindet. Gut und Böse an sich gibt es nicht mehr, sondern nur noch relativ, nur noch bezogen auf das Individuum oder den ausgehandelten Konsens in der Gesellschaft.

Die gute Nachricht – und wenn es keine gute Nachricht gäbe, wäre diese Betrachtung überflüssig – ist aber, daß wir nicht nur im Negativen miteinander verbunden sind, sondern vor allem auch im Positiven. Paulus sagt: „Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden.“

Paulus spricht über Adam, weil er eigentlich über Christus sprechen will, den neuen Adam. Die Tatsache, daß wir alle im Negativen so sehr miteinander verbunden sind, ist nur die Kehrseite der ursprünglicheren Wahrheit, daß Gott uns nicht als einsame, isolierte und autonome Individuen erschaffen hat, sondern daß wir von Natur aus Familienmenschen sind, Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter, Väter und Mütter, Freunde, Nachbarn und Weggefährten. So hat Er uns gewollt und ursprünglich erschaffen. Und so schafft er uns neu durch Glaube und Taufe. Daß wir in Liebe untereinander verbunden sind und füreinander einstehen können, vereint durch den unsichtbaren Blutkreislauf der Liebe und des Opfers.

Dieses Band der Liebe ist zwar durch die Sünde pervertiert zur Ansteckungskette des Virus des Mißtrauens und des Ungehorsams gegenüber dem liebenden Schöpfervater. Doch Christus ist an die entscheidende und zentrale Stelle getreten, um die Gerechtmachung, die Heilung zu bringen. Ausgehend von Ihm, dem Einen, aber bestimmt für uns, die vielen. So, wie sich das Böse von einem einzigen Zentrum her aus ausbreiten kann, so tut es noch wirksamer das Gute, von jenem Zentrum der Welt her, das Christus mit seinem Kreuz für alle Ewigkeit markiert hat.

An der Stelle, wo Adam und Eva sich für das Mißtrauen und den Ungehorsam entschieden, hält Er dem Versucher stand und initiiert so die Ansteckungskette des Guten und der Heilung.

In der Wüste erringt Jesus für uns einen dreifachen Sieg:

Der Versucher sagt: „Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, daß aus diesen Steinen Brot wird.“ Mach doch einfach Brot! Fülle doch einfach die Mägen! Antworte doch einfach auf die Lebensbedürfnisse der Menschen! Häng die Latte nicht immer so hoch und komm ihnen doch entgegen! Dann hast du leichtes Spiel; sie werden dir aus der Hand fressen; du kannst herrschen als ihr König, den Weltfrieden herstellen. Und dann brauchst du auch nicht jämmerlich am Kreuz zu verrecken. Doch Jesus weist ihn zurück: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern von jedem Wort aus Gottes Mund.“ Er weiß, daß nicht nur der Magen, sondern vor allem das Herz des Menschen wieder gefüllt werden muß. Letztlich kann dieses Herz nur gefüllt werden als Kinderherz, das beim liebenden Vater ruht. Und so darf auch die Kirche nicht aufhören, wirklich Seelsorgerin zu sein, der es um die unsterblichen Herzen und Seelen geht. Sonst würde sie überflüssig als einer unter vielen Weltverbesserungsvereinen.

„Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich hinab“. So der Versucher in seinem zweiten Anlauf: Wähle die Sensation! Zeige doch, wer du bist! Mach doch ein bißchen was her! Warum sagst du denn den von dir Geheilten jedesmal, sie sollten das Wunder nicht weitererzählen? Rühr doch die Trommel! Die Menschen wollen nun einmal die große Show, wollen den Führer, dem sie blind folgen können. Geh doch darauf ein, so sind sie nun einmal. Und ist nicht der Gottesdienst, den du stiftest, auch viel zu wenig sensationell? Nur immer diese Gebete und Gesten und ein bißchen Brot und Wein? Wie willst du damit schon die Massen begeistern? Zieh doch Nutzen aus der Tatsache, daß du Gottes Sohn bist! Und der Teufel, der sich besser als die Gläubigen in der Hl. Schrift auskennt, zitiert sogar einen Psalm… Doch Jesus weist ihn mit einem anderen Schriftwort zurück: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.“

Darauf zeigt ihm der Teufel schließlich alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht. Nicht nur die materielle Pracht, auch hohe Kultur, Kunst, Schöngeistigkeit, Pracht jeder Art, dem Paradies zum Verwechseln ähnlich. Wie unfaßbar beeindruckend und verführerisch muß das gewesen sein. Nur eine kleine Bedingung ist gestellt: „Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.“

Und mit der dritten Antwort, die Jesus gibt, weist er den Versucher endgültig zurück: „Weg mit dir, Satan! Denn in der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“

Von diesem Sieg Jesu her, der letztlich am Kreuz errungen wird, verströmt sich unsere Heilung, unsere Rettung, unsere Gerechtmachung.

Wenn wir Gott anbeten, Ihm die Ehre geben in kindlicher Liebe und Ehrfurcht, in Vertrauen und Gehorsam, dann ist der Sieg Jesu in uns errungen, dann sind wir auf dem Weg zu unserer wahren Selbstverwirklichung. Dann brauchen wir nicht mehr besorgt um uns selbst zu sein, denn dann vergessen wir uns, weil wir das kindliche Vertrauen des wahren Paradieses wiedergefunden haben. „Euer Vater weiß ja, was ihr braucht.“ Amen

 

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